Altenessen. . Ende der 60er Jahre hat er in Bonn und Heidelberg studiert. Diese Zeit hat Pfarrer Wilfried Stender aus Altenessen geprägt.
Das Haupthaar ist kürzer – und etwas dünner als damals ist es auch. Der Bart ist in Würde ergraut. Die einst riesigen Brillengläser sind auf eine modisch dezente, rahmenlose Form geschrumpft. Wilfried Stender muss schmunzeln, wenn er sich auf dem Schwarz-Weiß-Foto sieht, das ihn zeigt, als er als Pfarrer in Altenessen begann. Das ist fast vier Jahrzehnte her. Damals sind Altenessen-Süd, -Nord und Karnap noch eigenständige Kirchengemeinden. Am Sonntag geht der 65-Jährige in Ruhestand.
Es sind die wilden 1968er Jahre, die die Studienzeit des gebürtigen Mülheimers prägen. Und die Studienorte. Zunächst Heidelberg, dann Bonn. „Die Fachschaft war politisch sehr aktiv“, erinnert sich Wilfried Stender. Das geht so weit, dass im späteren Vikariatskurs die praktische Zusammenarbeit mit einer Bürgerinitiative auf dem Lehrplan steht. Ein Leitspruch lautet damals: „Weil Gott in Jesus Mensch geworden ist, darf Kirche nichts Menschliches fremd sein.“
Sein Vikariat absolviert Wilfried Stender in Rüttenscheid, danach unterrichtet er eineinhalb Jahre Religion am Leibniz-Gymnasium. 1978 wird er in der Trinitatis-Kirche ordiniert. In Altenessen trifft er Willi Overbeck, einen Studienkollegen aus Bonner Zeiten wieder. „Wir waren wie zwei Brüder, die sich wiederfanden“, sagt Wilfried Stender. Und es stellt sich für beide gleich eine Herausforderung: die Zukunft der ehemaligen Zeche Carl. Eine Initiative wird gegründet, „die zu 80 Prozent aus Mitarbeitern der Kirchengemeinde besteht“. Darunter sind viele von Stenders ehemaligen Oberstufenschülern. Der Einsatz für die Zeche Carl als Kulturzentrum ist erfolgreich. Auch bei den erfolgreichen Protesten gegen den geplanten Ausbau der A52 steht Stender in der ersten Reihe. „In einer Sitzung im Ratssaal haben wir damals dem Planungsdezernenten einen goldenen Papierkorb für seine Pläne überreicht.“ Unterstützung erhalten die Pfarrer von ihren Gemeinden, aber auch vom Kirchenkreis. Mit Willi Overbeck nimmt er später auch die Restaurierung der denkmalgeschützten Alten Kirche in Angriff.
Die meiste Zeit ist Wilfried Stender an der Trinitatis-Kirche an der Basunestraße tätig. Gern erinnert er sich an an die ausgezeichnete kirchenmusikalische Arbeit, die große und aktive Frauenhilfe oder die lebendige Ökumene mit der katholischen Schwestergemeinde „Herz Mariä“. Diese Hoch-Zeit flaut aber im Laufe der Jahre ab. „Die Gemeindegliederzahlen sanken, und zwar, weil viele wegzogen“, erklärt Wilfried Stender. Irgendwann stellt die Landeskirche die Trinitatis-Kirche vor die Wahl: Entweder den Kirchenbau erhalten und dafür auf die Kita und die Jugendarbeit verzichten – oder umgekehrt. Die Trinitatis-Kirche wird 2005 geschlossen und 2007 abgerissen.
Wilfried Stender wechselt in die Alte Kirche. In seine Zeit fällt der Ausbau der Alten Kirche zu einem Kulturort, an dem Künstler verschiedener Stilrichtungen auftreten. Vom Gitarrenkonzerten bis zur gregorianischen Chorälen reicht die Bandbreite. „Van Morrison hätte ich gerne mal hierhin in die Alte Kirche geholt“, sagt der Blues-Fan augenzwinkernd.
Wilfried Stender, der bekennende Rot-Weiss-Fan und seit 30 Jahren Rot-Weiss-Mitglied, der meist zusammen mit den „Ultras“ auf der Tribüne steht, mag den Typ Mensch im Essener Norden. Die direkte Art, aber auch das „dat“ und „wat“ und „kannse ma“. Mit seiner Frau wird der Vater zweier Söhne in dem alten Haus in der Bergbau-Kolonie wohnen bleiben, das Mehr an Zeit für Reisen und Besuche bei Freunden „von Bayern bis Schleswig-Holstein“ nutzen. Wenn er gerufen werde, werde er aber für die Gemeinde da sein.
Zwischenzeitlich, sagt Stender, habe es eine Phase gegeben, in denen Pfarrer weniger politisch gewesen seien. Das ändere sich zurzeit wieder. Und das sei auch gut so angesichts aktueller politischer Fragen wie die der Flüchtlinge.
Am Sonntag, 16. August, wird Wilfried Stender mit einem Gottesdienst in der Alten Kirche als Gemeindepfarrer entpflichtet – so heißt es auf Kirchendeutsch. Er geht in den Ruhestand. „Politisch werde ich aber bleiben“, sagt er.