Tomáš Netopil tritt als Generalmusikdirektor der Essener Philharmoniker die Nachfolge von Stefan Soltesz an. Er will das fortsetzen, was so erfolgreich aufgebaut wurde. Gleichzeitig schlägt er in Oper und Konzerthaus neue Töne an.
Am Wochenende hat er noch an der Dresdner Semperoper dirigiert, jetzt sitzt Tomáš Netopil im Konferenzraum der Philharmonie und lächelt zufrieden. „Wissen Sie, wir hatten heute morgen eine richtig gute Probe. Sonst fühle ich mich danach oft ausgepowert, weil ich so viel Energie gebe. Heute fühle ich mich richtig erfrischt“, erklärt der Dirigent im fließenden Englisch.
Ein gutes Zeichen für den neuen Chef der Essener Philharmoniker, der das althergebrachte Bild vom strengen Pultgott mit unberechenbaren Launen gänzlich ignoriert. Wie er so auftritt im lockeren Gespräch, mit weißen Sportschuhen und grünem Pulli um die Schultern, wirkt er eher wie ein erfolgreicher Ton-Trainer. Teamgeist spielt für ihn jedenfalls eine große Rolle.
Dass er einiges anders machen wird als sein Vorgänger Stefan Soltesz, ist gewiss. Netopil ist 38, er hat in seiner tschechischen Heimat Geige und Dirigieren studiert. Und wie viele Maestros seiner Generation hat er sich zwar ganz und gar der Musik verschrieben, aber nicht einem einzigen Haus. Dass er als neuer Generalmusikdirektor der Essener Philharmoniker zunächst weiter Musikdirektor am Nationaltheater Prag bleiben wird, hat manchen anfangs irritiert. Aber Netopil sagt, dass er die Herausforderung liebt. Dazu gehören für ihn auch die Bewegung, das Reisen, die Arbeit mit unterschiedlichen Orchestern. Berlin, Wien, London.
Sein Herz gehört auch der Oper: „ich brauche all diese Farben“
Etwa 140 Tage Präsenz in Essen wurden vereinbart. Der Rest gehört Prag, dem Ruf internationaler Häuser und natürlich der Familie. Seine Frau und seine Töchter, acht und vier, sind daheim in Tschechien geblieben, an dem Ort, wo es an wenigen Tagen im Jahr dann mal keine Arbeit gibt, „mein Paradies“ sagt Netopil.
Das Zauberreich der künstlerischen Entfaltung aber ist die Musik. Mozart und die slawische Musikliteratur werden seine erste Spielzeit in Essen prägen, „aber nicht nur die Gassenhauer“, sagt Netopil. Komponisten wie Jan Václav Hugo Vorísek, der beim heutigen 1. Sinfoniekonzert neben Mahler auf dem Programm steht, sind exemplarisch. Aber auch das klassische Orchester-Repertoire spielt eine große Rolle. Haydn und Brahms stehen auf der Liste und natürlich Jubilar Richard Strauss. Zwei Opern wird er im ersten Jahr dirigieren. Verdis „Macbeth“ und Janáček „Jenufa“. Auch wenn Netopil bisher bevorzugt als Konzert-Dirigent aufgetreten ist, gehört sein Herz nicht minder der Oper. „Ich brauche all diese Farben.“
Wie rasch sich das Publikum auf die Zeitenwende im Orchestergraben einstellen wird, darüber will sich Netopil derzeit nicht den Kopf zerbrechen. Die Atmosphäre am Haus empfinde er jedenfalls als „offen und freundlich“ und: „Wir sind nun mal zwei unterschiedliche Charaktere.“ Gleichwohl empfinde er eine große Verantwortung, „das fortzusetzen, was Stefan Soltesz hier über Jahre so erfolgreich aufgebaut hat“.