Ein atemberaubendes audiovisuelles Erlebnis haben Markus Pabst und Eike von Stuckenbrok mit dem Programm „Dummy“ geschaffen. Bei der Premiere im Essener GOP ließ das Regieduo die Puppen auf besonders avantgardistische Weise tanzen.
Es ist bestimmt nicht leicht, die traditionsreiche Theaterform des Varietés zu erneuern – schließlich sind die Spielarten, mit denen die Artisten auftreten, begrenzt. Körperartistik, Jonglage, Trapez, Clownerei und Magie: Lange Zeit wurden solche einzelne Nummern lediglich von einem Conférencier zusammengehalten. Schon seit Jahren jedoch geht das GOP da andere Wege, versucht, die einzelnen Nummern mit einem roten Faden, eine Geschichte etwa oder ein Motto, zusammenzuhalten. Doch selten ist dies so perfekt gelungen wie in diesem Fall.
Dabei kommt dem Programm sicherlich zu Gute, dass es überwiegend auf junge, unverbrauchte Künstler zurückgreifen kann, die Pabsts Talentschmiede „Base Berlin“ entstammen. Sie alle ordnen ihre Nummer dem großen Ganzen unter, so dass ein atemberaubendes Gesamtkunstwerk im futuristischem Look entsteht.
Gleich zu Beginn erwacht die karge Bühne zum Lebe: Durch drei Folienröhren kommen drei der Artisten geklettert, begleitet vom atmosphärischen Industrial-Dub-Sound des Sängers und Musikers Reecode. Fast wie eine Geburt wirkt dabei das Trio, das seinem durchsichtigen Käfig entkommen will. Nicht zuletzt das Zusammenspiel der Artisten mit der Musik, zu der auch die australisch-asiatische Cellistin Lih Qun Qong beiträgt, macht das Gesamtbild so rund. Und nicht zu vergessen die Video- und Lichtprojektionen: Während beispielsweise Allesandro Di Sazzio über die Bühne tanzt, wirft er einen leuchtenden Schatten, der seine Bewegungen verzögert nachzeichnet.
Als Tanzpartner dient ihm dabei übrigens ein Titel gebender Dummy, eine lebensgroße Puppe. Solche werden immer wieder, entweder in Einzelteilen oder als Ganzes, zu Spielbällen für die Artisten. CoRegisseur Eike von Stuckenbrok und James Kingsford Smith etwa dient ein Dummy als Trapez-Ersatz. Oder Nata Galkina: Sie jongliert nicht nur mit Ringen, sondern auch mit einem lebensgroßen Puppenbein. Zudem lässt sie in einem komischen Zwischenspiel ihre eigenen Füße lebendig werden.
Ein Eigenleben bekommt nicht zuletzt die Bühne selbst: Sie gerät nämlich – technisch beeindruckend – in Schräglage und bietet so völlig neue Performancemöglichkeiten. Durch die Kombination mit geschickt eingesetzter Videotechnik setzen die Artisten dann scheinbar die Gesetze der Schwerkraft außer Kraft. So kommt man während des gut zweistündigen Programms kaum noch aus dem Staunen heraus: Mit einem Programm wie „Dummy“ ist das Varieté gut für die Zukunft gerüstet.