Essen. Die Premiere des Festivals „Heimaterbe“ auf dem Gelände des Weltkulturerbes Zollverein war alles andere als ein Selbstläufer. Immerhin knackte „Blumentopf“ die Tausender-Besucher-Marke.
Es hätte alles so schön werden können: Mit einem pop-rockigen Musikfestival namens „Heimaterbe“ wollte die Stiftung Zollverein vom hochkulturellem Ross steigen und auch bei der jüngeren Zielgruppe punkten. Doch besaßen Bands wie die Deutschrocker „Luxuslärm“ und die Hip-Hopper „Blumentopf“ offenbar nicht genug Anziehungskraft, um den Gleisboulevard des Weltkulturerbes in ein pulsierendes Festivalgelände zu verwandeln.
Wer sich an einen der drei Spieltage schon nachmittags auf das Areal gewagt hat, dem hat sich ein eher trauriges Bild geboten. Nur vereinzelte Menschen stehen beispielsweise am Samstag vor der Bühne, um dem Auftritt der Newcomer „Herrenmagazin“ beizuwohnen. Dabei gibt sich die Hamburger Formation wirklich Mühe, die Rocklatte an diesem Nachmittag hochzuhängen. Doch ein Regenschauer verjagt dann sogar einen Teil der ohnehin spärlich gesäten Zuschauer.
Damit hat auch Andreas Dorau zu kämpfen. Dabei ist sein trashiger, von schlageresquem Kitsch getränkter Elektrodeutsch-Pop ohnehin nicht jedermanns Sache, auch wenn man diesem eine gewisse Tanzbarkeit nicht absprechen kann. Und Dorau ist Profi genug, um sich seine Laune nicht verderben zu lassen: Er fegt und springt bestens gelaunt über die Bühne und sorgt dafür, dass man nicht umhin kommt, Spaß zu haben.
Applaus verdient auch das Improvisationstalent der Musiker: Da der Drummer von Dorau dank eines Wespenstichs kurzzeitig ausgefallen ist, greift kurzerhand „Herrenmagazin“-Frontmann Deniz Jaspersen zu den Taktstöcken. Ein schönes Beispiel dafür, dass die Beteiligten gewillt sind, sich auch durch die widrigsten Begleitumstände nicht die Laune verderben lassen zu wollen. Oder wie es „Fehlfarben“-Sänger Peter Hein bei seinem Auftritt formuliert: „Die Gage stimmt, dann ist alles okay.“
Das findet ein Teenager nicht, der mit seiner Familie auf eine der Bierbänke ausharrt, während die Düsseldorfer Punkband der ersten Stunde ihren Auftritt absolviert. „Wann sind die endlich fertig“, fragt er hörbar genervt seine Schulter zuckenden Eltern. Keine Frage: Der junge Mann ist wegen „Luxuslärm“ hier. Und bei deren Auftritt kommt tatsächlich Festival-Atmosphäre auf: Einige Hundert Fans stehen jubelnd vor der Bühne, skandieren mit und fressen der Frontfrau Jini aus der Hand. Zum Beispiel das Popcorn, das sie – passend zu ihrem aktuellen Album „Kirmes“ – beutelweise ins Publikum wirft.
Noch mehr Stimmung gab es eigentlich nur tags zuvor: An dem als „Hip Hop“-Tag ausgerufenen Freitag schafften es „Blumentopf“, die 1000er-Marke zu knacken. „Ich wusste nicht, das Hip Hop-Fans so feiern können“, freut sich Fabian Lasarzik, künstlerischer Leiter der Stiftung Zollverein, über den Zuspruch, der zumindest in den späten Abendstunden stetig angestieg.
Ohnehin will niemand der Offiziellen trotz der ernüchternden Besucherzahlen von einem Flop sprechen. „Uns war klar, dass man keine Wunder erwarten darf, wenn man so ein Festival aus der Taufe hebt“, sagt Lasarzik und mahnt, dass man Zeit bräuchte, um so etwas zu etablieren. Ins selbe Horn bläst Projektmanager Bernward Schilke: „Waken hat vor gerade mal 80 Leuten begonnen.“ Am vielleicht allzu heterogenen Line-Up liege es nicht: „Hier kommen unterschiedliche Generationen und Genres zusammen – das unterscheidet uns von anderen Festivals.“
Das und das liebevolle Drumherum. Seien es die Liegestühle und Holzpaletten, die als Sitzgelegenheiten dienen, sei es die Tischtennisplatte, über die ein wild ums sich komemntierender Schiedsrichter wacht, sei es der sich als äußerst kommunikativ erweisende Fotoautomat. Auch die Idee, die Umbaupausen durch Poetry-Slammer überbrücken zu lassen, hat durchaus Charme. Und wenn man am Ende des Festivalabends am Lagerfreuer vorbeischreitet, das junge Dichterfürsten mit warmen Worten zusätzlich anheizen, dann geht man doch mit dem Gefühl: Das war schon ein schönes Festival. Schade, dass es so wenig mitbekommen haben.