Essen. „Autokino ist prima. Man muss keinen Parkplatz suchen und braucht sich nicht extra die Haare zu waschen“: Kino-Fans schwören auf den Filmgenuss, den die XXL-Leinwand ermöglicht. Andere bekommen vor lauter Grillen und Knutschen nichts mit vom Film. Ein Stimmungsbild vom Sulterkamp in Essen.
Gute Vorbereitung ist im Autokino alles. Als das Rolltor um viertel nach neun noch geschlossen ist, holt das Pärchen mit den Bierfass-Boxen auf der Hutablage noch fix den Glasreiniger raus, um die Windschutzscheibe fliegenfrei zu kriegen. Freie Sicht auf Danny de Vitos komischen Umweltvogel „Lorax“, der um 22 Uhr im Autokino abheben soll. Ein Stimmungsbild vom Sulterkamp.
Kinochef Frank Peciak lehnt in Shorts und Schlappen am Eingang zur Snackbar, entspannt wie all seine Gäste. „Autokino ist prima. Man muss keinen Parkplatz suchen und braucht sich nicht extra die Haare zu waschen“, grinst der Theaterleiter. Es sei denn, man hat noch mit dem Beifahrer Pläne.
Mit dem Tischgrill ins Kino
Es soll Leute geben, die müssen sich nach dem Autokino-Besuch die DVD zulegen, weil sie vom Film nix mitbekommen haben. Es gibt aber auch jene, die das Gesellige schätzen. „Letzte Woche waren Gäste da, die wollten ihren Tischgrill anschließen.“ Versuchen Sie das mal im Cinemaxx“, lacht Peciak.
Auch Jana, Nele und Alina haben sich eingedeckt. Die Ladefläche des Kastenwagens wurde von Papa Oliver zur Liegewiese umfunktioniert. Couchkino vor 540 Quadratmeter Riesenleinwand. „Ich bin das erste Mal hier“, kräht die kleine Nele zwischen Popcorn, Chips und Negerküssen. Auch Thomas hat mit seinem MG, Baujahr ‘72, die lang geplante erste Ausfahrt ins Autokino geschafft. „Ob es für ihn das erste Mal ist, wissen wir ja nicht, für uns in jedem Fall“, lächelt der Duisburger neben Mitfahrerin Evelyn.
Das erste Mal, hach! Das klingt nach Sinn und Zweck des Autokinos. Denn auch, wenn es zum Knutschen doch heute eigentlich keine heimlichen Rückzugsorte mehr braucht wie vor 40 Jahren, zählt hier immer noch das Zwischenmenschliche. Peciak weiß von Besuchern, die mit zwei Autos aus Dortmund und Köln kommen, und am Sulterkamp zur Fahrgemeinschaft auf Zeit werden. Ab und an versucht auch schon mal jemand, einen blinden Passagier im Kofferraum einzuschmuggeln. „Aber das sieht man gleich, wenn die direkt hinters Vorführer-Häuschen fahren. Dann fragt man halt mal nach den Karten“, gibt sich Peciak gelassen.
Wer niemanden zum Kuscheln hat, mietet einen Heizlüfter
Sieben Euro kostet ein Ticket, das ist wenig. 1000 Stellplätze hat das Autokino. Das ist viel. Vielzuviel eigentlich auch an einem idealen Autokino-Abend wie diesem, an dem sich ein paar Dutzend Fahrzeuge auf dem riesigen Parkplatz verteilen. Autokino geguckt wird dabei immer. Und wer im Winter nicht auf den Austausch von Körperwärme vertraut, kann sich einen kleinen Heizlüfter mieten und an die Stromsäulen anschließen, die wie Parkuhren über den Platz verteilt sind. Peciak nennt sie Notalgiesäulen, weil auch noch zwei alte Lautsprecher dranbaumeln, die man sich ins Auto hängen kann: wenn das Radio mal muckt oder einer die UKW-Frequenz 90,0 nicht findet, über die der Kinoton ins Auto übertragen wird.
„Die Leute kommen sogar bei Nebel“, staunt Peciak. Manchmal wird dann der Eintritt zurück erstattet, aber Autokinogucker sind hart im Nehmen. „Der Betrieb steht und fällt mit dem Film“, erklärt der Kinochef. Die Action-scheppernde Blechspektakel-Filmserie „The Fast and the Furios“ ist der Rekordhalter seit Jahren. „Da ist der Parkplatz rappelvoll.“ Ausverkauft ist seither selten, aber zwischen 30 000 und 40 000 Besucher pro Jahr kommen noch immer. Dass sich der Betrieb rechnet, ist vor allem einer Mischkalkulation aus Autokino, Automarkt und Trödel zu verdanken. Alles drei liegt in einer Hand.
Der Vorführer brät auch Burger
München, Stuttgart und Köln haben noch Autokinos. Frankfurt-Gravenbruch ist das älteste, Essen nicht viel jünger. Die Leinwand ist über die Jahre mal ausgetauscht worden. Und der animierte „Kulturfilm“, den Peciak seit 15 Jahren im Vorprogramm zeigt, um keine Vergnügungssteuer zu zahlen, hat eine neue Fassung bekommen. Aber sonst hat hier vieles Bestand, auch personell. Filmvorführer Marian Janocha hat über die Jahre schon viele Klassiker durch seine Hände gehen sehen. Und wenn er die Filmrolle in den Projektor eingelegt hat, brät er der Kundschaft noch frische Burger. Die weiß gekachelte Snackbar ist bei vielen eine Institution.
Auch Kassiererin Doris Kwasniewski dürfte den Betrieb schon gekannt haben, als man noch drei Mark Eintritt zahlte. Peciak erzählt von Zeiten, als die Polizei den Verkehr regeln musste, wenn das Autokino öffnete. In guten Jahren und den dunklen Monaten bis zu viermal am Tag. Dann kam das Fernsehen, die Kinopaläste und Filme wie „Unterm Dirndl wird gejodelt“. Die wollte irgendwann keiner mehr sehen“, sagt der 52-Jährige. Also wurde umgestellt. Im Autokino laufen heute die Blockbuster wie überall. Harry Potter, Spider Man. Dass man die 3D-Technik nicht bieten kann, hält Peciak für keinen Nachteil. „3D kostet doch zwölf Euro und mehr, das will nicht jeder zahlen.“
Peciak selber ist seit 25 Jahren dabei. Während des Architektur-Studiums hat er auf dem Automarkt gejobbt und ist geblieben, als man einen Kinoleiter suchte. Der Sulterkamp ist eben ein Ort für Liebe auf den ersten Blick. Und manchmal flimmern hier sogar Heiratsanträge über die Leinwand. Dann gehen für einen Moment, wie im Autokino üblich, alle Hupen an.