Essen. Die Schauspielerin Claudia Amm wurde zusammen mit ihrem Lebensgefährten Güner Lamprecht vor mehr als zwölf Jahren beim Amoklauf in Reichenhall angeschossen. Nun steht sie in„Richtig alt, so 45“ auf der Grillo-Bühne. „Inzwischen beeinträchtigt mich das nicht mehr“, sagt sie.
Claudia Amm streicht mit ihrer linken Hand über die rechte. Immer mal wieder, während sie von ihren Rollen erzählt: Die Mascha in „Drei Schwestern“, die Josie in „Ein Mond für die Beladenen“ und die Maria in „Josef und Maria“ gehören zu ihren liebsten. In letzter Zeit hat sie öfter kämpferische Frauenfiguren gespielt und „sehr beschädigte“. „Wenn ich an Figuren herangehe, müssen sie etwas mit mir zu tun haben“, sagt sie – mehr als zwölf Jahre nach dem Amoklauf von Bad Reichenhall, bei dem sie von Schüssen schwer verletzt wurde.
Auf der Bühne sieht man nichts von den Folgen. Sie spielt die Lyn in „Richtig alt, so 45“ im Grillo-Theater und brennt für ihre Figur, wie sie es stets getan hat. „Ihr Widerspruchsgeist, die Freiheitsliebe, das Autonome - das hat etwas mit mir zu tun“, erklärt Claudia Amm. „Das sind für mich Bedürfnisse.“ Genauso, wie nah am Zeitgeschehen zu sein, schließlich gehöre sie zur 68er-Generation: „Mich mit einem Stück über die Überalterung unserer Gesellschaft zu beschäftigen, fand ich interessant. Und ich hatte einen Draht zum Regisseur, Jens Pesel.“ In Hamburg traf er sie, wo sie im letzten Jahr für ihre herausragende Darstellung der Violet Weston in „Eine Familie“ mit dem Rolf-Mares-Theaterpreis ausgezeichnet wurde, und holte sie nach Essen. „Es gibt ja kaum noch ältere Schauspieler in den Ensembles. Dabei wäre es notwendig, dass sie ihre Erfahrungen weitergeben“, bemerkt die 65-Jährige kritisch.
Unterricht bei Lee Strasberg in den USA
Von ihr könnte man einiges lernen: wie man in Figuren hineingeht, wie man ihnen die eigenen Eigenschaften zur Verfügung stellt und sie authentisch wirken lässt. Aber auch, sich selbst treu zu bleiben und an sich zu arbeiten, gehört dazu. Nach ersten festen Engagements in Bochum, Hamburg und Berlin und Arbeiten beim Fernsehen perfektionierte sie ihr Spiel beim berühmten Schauspiellehrer Lee Strasberg in den USA. Später gastierte sie an der Freien Volksbühne Berlin, am Nationaltheater Mannheim, am Ernst-Deutsch-Theater Hamburg, bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen oder im Theater im Rathaus.
Dann kam der Amoklauf im November 1999. „Ein einschneidendes Erlebnis, das mich verändert hat“, erzählt sie. Todesangst musste sie ausstehen, einen Rumpfwanddurchschuss und Armdurchschuss verkraften und die Depressionen danach. „Das Ausgeliefertsein war das Schlimmste“, weiß die Schauspielerin. Doch sie hat es geschafft, ins Leben, ans Theater und zu ihrer aufrechten Haltung zurückzufinden. Der Weg zum Buddhismus hat ihr dabei geholfen: „Es ist für mich eine Quelle. Sie gibt mir Kraft und Mut, ein sinnvolles, eigenverantwortliches Leben zu führen.“
Und ihr langjähriger Lebensgefährte Günter Lamprecht, selbst damals Opfer des jugendlichen Schützen, war und ist an ihrer Seite. „Diese Beziehung ist mein Zuhause. Mit ihm habe ich viel erlebt, alle Höhen und Tiefen“, so die Kölnerin, die jetzt nicht weit von ihrer Geburtsstadt im Grünen lebt. Mit ihm kehrte sie zwei Jahre nach der Tat auf die Bühne zurück.
„Einfach war das nicht. Doch inzwischen beeinträchtigt mich das nicht mehr“, sagt Claudia Amm, die noch möglichst lange spannende Figuren wie die Lyn spielen will. „Ich mache heute alles mit links“, meint sie lachend und streicht mit ihrer linken Hand über die rechte.