Essen. Ein Haus wie die Essener Philharmonie braucht neben individuellen Programmen und Bildungsformaten auch die publikumswirksamen Stars. Intendant Johannes Bultmann gibt einen Einblick, wie er seine Programme plant.
Er mag keine „heiße Luft“, deshalb möchte Johannes Bultmann über seine Pläne nach dem Ende seiner Zeit als Intendant der Philharmonie Essen (noch) nicht sprechen. Über seine Absicht, das Haus noch stärker als bisher in der ersten Liga der Konzerthäuser zu verankern, neue Wege in der Musik-Vermittlung aber auch die engere Einbeziehung des Stadtgartens in das Sommerprogramm sprach er mit Dirk Aschendorf.
Befindet sich ein Intendant nicht im permanenten Dilemma, sich bei der Programmplanung zwischen den klassischen Publikumsmagneten und künstlerischem Anspruch entscheiden zu müssen?
Johannes Bultmann: Auch bei den so genannten Magneten sollte immer auch der künstlerische Anspruch im Vordergrund stehen. Aber natürlich braucht ein großes Haus wie Essen - wie übrigens jedes andere Konzerthaus - die Magneten, die großen Namen. Um die sollte man sich möglichst früh, mindestens zwei bis drei Jahre im Voraus, bemühen.
Wieviel Programme werden dann von der Stange, also über Agenturen gekauft, was wird selbst kreiert?
Wenn man beispielsweise die Künstler persönlich kennt, ist das schon sehr hilfreich. Die Essener Debütanten der kommenden Spielzeit, also Jonas Kaufmann, Christian Thielmann oder die Gruberova, um nur einige zu nennen, kenne ich. Das hilft - wie aber auch die hervorragende Akustik unseres Hauses. Nehmen Sie Cecilia Bartoli. Die ließ sich jetzt erstmals auf das Essener Haus ein. Sie war begeistert - und kommt wieder in der übernächsten Spielzeit. Soviel kann ich schon verraten. Als ich mit Jonas Kaufmann plante, war klar, dass wir kein Programm „von der Stange“ machen, wie Sie es nennen. Wir arbeiten da mit den Bochumer Symphonikern zusammen und nicht mit einem der üblichen verdächtigen Begleit-Orchester. Da muss man lange vorher diskutieren und dann am Ball bleiben. Zum Glück helfen bei so etwas auch die Essener Sponsoren mit langfristigen Förderzusagen. Das ist für unsere Planungen viel wichtiger, als ganz kurzfristige Finanz-Zusagen.
Sie bauen den Sänger-Anteil aus und setzen da überwiegend auf Stars, wie Gruberova, Diana Damrau oder Philippe Jaroussky. Ziehen Gesichter mehr, als die großen Orchester?
Das Sängerthema findet auf jeden Fall Resonanz hier in Essen und da machen wir natürlich weiter mit großen Sängerformaten. Allerdings setzen wir nicht nur auf „Name-Dropping“, sondern immer auch auf inhaltliche und thematische Linien.
Zum Beispiel?
Es gibt da einen kleinen aber wie ich finde sehr feinen von uns kreierten Schubert-Zyklus - übrigens einer meiner Lieblingskomponisten. Da singt Thomas Quasthoff dann die „Winterreise“ - sicher nicht zum ersten Mal, aber es passt. So wie Hanno Müller-Brachmann, der dann in „Lied & Lyrik“ noch aus Schuberts „Schwanengesang“ singt.
Ja, aber wo sehen Sie ein Alleinstellungsmerkmal der Essener Philharmonie, wo zeigen Sie Ihre Handschrift?
Der Dreiklang, den wir stetig ausbauen, besteht aus Interpretation, Kommunikation und Partizipation. Wir suchen Künstler, die etwas „zu sagen“ haben, die also nicht nur technisch brillant sind, und das wollen wir mit den Interpreten auch dem Publikum zeigen. Die erwähnte Reihe „Lied & Lyrik“, die wir mit dem Schauspiel durchführen, gehört dazu. Da werden Musik und Text in einen tieferen Zusammenhang gestellt. Oder die Einführungen bei der Reihe „Alte Musik bei Kerzenschein“: Fast das gesamte Publikum sitzt dabei freiwillig im Saal. Diese neue Reihe läuft extrem gut. Eigentlich Spezialistenprogramme, zu denen aber nie weniger als 900 Zuhörer kamen. Und die Education-Programme mit Essener Schulen, Folkwang-Uni und der Uni Duisburg-Essen gehören ebenfalls zu unserer Handschrift. Da sehe ich Essen selbst europaweit ganz vorn.
Jetzt András Schiff, bald Sol Gabetta, was bedeuten die „Residence“-Künstler für eine Philharmonie?
Sicher, das ist ein gewisser Trend. Aber man kann sich über einen längeren Zeitraum auf einen Künstler konzentrieren und vielleicht auch Heimat auf Zeit bieten. Bei András Schiff hatten wir eine große Zahl von Gästen, die alle Abende besuchten und sogar Briefe schrieben. Jetzt mit der Cellistin Sol Gabetta haben wir auf jeden Fall eine NRW-Exklusivität.
Sie planen eine Reihe von Veranstaltungen im Stadtgarten. Geht das zwischen Grilldunst und Müll?
Von der Stadt haben wir grünes Licht für alles bekommen. Ich habe noch nie eine Kommune erlebt, in der sich alle Verantwortlichen so schnell geeinigt haben und mitwirken. Für den Sommernachtstraum werden im Vorfeld die Aufbauten bewacht, das Areal bei der Aufführung kontrolliert. Nächstes Jahr wird es ganz groß, mit der „Orfeo“-Aufführung unter Thomas Hengelbrock. Gerade hat Elfriede Jelinek ihr neues Stück geschickt, für die Uraufführung 2012.
Kommt Frau Jelinek?
Ich würde mich extrem freuen. Aber sie geht ja nie ins Theater, außer in München und Wien, wo sie wohnt.