Essen.

Kurz nach dem Ende der Kulturhauptstadt übt Ruhrgebiets-Original und Kabarettist Dr. Ludger Stratmann auch Kritik an den Machern von Ruhr.2010. Die freie Szene vor Ort sei vielfach vergessen worden.

Das Kulturhauptstadtjahr ist zu Ende. Wie lautet Ihr Fazit als Kulturschaffender?

Ich finde es großartig, dass wir das Kulturhauptstadtjahr für das Ruhrgebiet gestalten durften. Ich fand auch die Auswirkungen der Aktionen nicht schlecht.

Wie haben Sie persönlich diese Auswirkungen erlebt?

Ich habe in meinen Vorstellungen viele Leute gehabt, die ins Ruhrgebiet kamen und abends als kleines Sahnehäubchen ins Stratmanns Theater kamen. Da hab‘ ich viele Dialekte gehört, die ich sonst hier im Ruhrgebiet nicht höre.

Der Ticketverkauf lief also besser als in den Vorjahren?

Das lässt sich so nicht bemessen. 100 Mal im Jahr ist das Theater voll. Nur saßen jetzt im Publikum mehr Gäste, die wegen der Kulturhauptstadt hierher gekommen sind.

Also ein rundherum positives Fazit?

Nein, die Einbindung von Stratmanns Kleinem Theater fand ich katastrophal, wir sind so gut wie gar nicht berücksichtigt worden. Es ist schade, dass die, die immer da sind, im Kulturhauptstadtprogramm nicht berücksichtigt wurden. Es gab keine Möglichkeit, uns zu beteiligen, wir sind überhaupt nicht gefragt worden, sondern haben alles aus der Presse erfahren. Es war fast unmöglich, im normalen Tagesbetrieb die Zeit zu finden, sich da zu engagieren und ein Bein in die Tür zu kriegen.

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Was hätten Sie sich gewünscht?

Schön wäre ein Programm gewesen, bei dem man gesagt hätte: Wir lassen die Freie Szene auflaufen. Das einzige was passiert ist, war jedoch, dass man uns zum Kulturhauptstadtstammtisch eingeladen hat. Und das zu Uhrzeiten wo wir aufbauen mussten oder auf der Bühne waren.

Das klingt ernüchtert ...

An dem Abend, an dem die Zustimmung für Essen als Kulturhauptstadt kam, war ich einer der Begeistertsten. Nachdem aber die Ruhr.2010 gegründet war und plötzlich von einem riesigen Finanzbedarf die Rede war, war ich sehr enttäuscht. Vor allem wenn man bedenkt, dass der freien Szene Fördermittel fehlen. Es ist nicht so, dass ich Fördermittel will, aber wir hätten uns gefreut, in den Hochglanzbroschüren der Ruhr.2010 aufzutauschen und etwas Anerkennung zu bekommen.

Die Ruhr.2010 GmbH wird abgewickelt. Was also bleibt vom Kulturhauptstadtjahr?

Mit Projekten, die einmal etwas Großes stemmen, können wir dauerhaft Kulturtreibenden nichts anfangen. Für einen nachhaltigen Effekt müsste es Projekte geben, die weiterlaufen, aber ich bin überzeugt davon, dass da jetzt nichts mehr kommen wird.

Also könnte Ihr Fazit lauten: Das Geld hätte man besser anlegen können?

Nein, ich will ja nicht alles nur kleinreden und Nörgeln. Das Kulturhauptstadtjahr hat dem Image des Ruhrgebiets viel Positives gebracht. Aber ich kann z.B. mit diesen Riesen-Events, dieser „Eventomanie“, nichts anfangen. Menschen müssen sich aussuchen können, was sie haben wollen, das muss nicht immer massenkompatibel sein und 50 000 oder 100 000 Besucher anziehen. Die A40-Aktion war großartig, aber sie ist ja nicht eigentlich das, was das Ruhrgebiet ausmacht. Das wahre Highlight war für mich der Tagesbetrieb. Die Leute, die am Wochenende ins Ruhrgebiet gekommen sind und den Kennedy-Platz und das Folkwang-Museum besucht haben. Das ist für mich der größte Erfolg der Kulturhauptstadt gewesen. Dass Leute aus Stuttgart hierher gekommen und mit dem Bötchen über den Baldeneysee gefahren sind und gesehen haben, wie schön es hier eigentlich ist. Toll fand ich auch die Einzelgespräche, wenn mir Leute erzählt haben, was sie erlebt haben und wie anders ihre Erwartungshaltung war. Diese Umstimmung wäre ohne Ruhr.2010 nicht möglich gewesen. Ein Erfolg war auch, dass sich so viele Reise- und Busunternehmer ums Ruhrgebiet gekümmert haben. Nur muss das jetzt auch weitergehen und darf nicht abreißen.

Womit ihr Fazit lauten könnte: Großartige Momente, aber man hätte sparsamer sein und die freie Szene besser einbinden sollen?

Dieser Umgang mit der freien Szene ist ja nicht nur im Kulturhauptstadtjahr so. Nehmen Sie unser Theater auf dem Kennedyplatz: Das findet im Moment keiner. Wenn der Weihnachtsmarkt läuft sind unsere Schaufenster zugestellt. Jetzt gerade läuft der Aufbau für „Essen on Ice“ und wir werden die nächsten Wochen auf die Rückseite von einem Rodelberg gucken. Diese mangelnde Beachtung der Kulturoberen der Stadt ist unerträglich. Und das ist nicht nur im Kulturhauptstadtjahr so gewesen. Dabei kommen jährlich im Schnitt 60 000 bis 70 000 Zuschauer in unsere Vorstellungen und wir bekommen keine Zuschüsse sondern bringen der Stadt Geld ein. Mein Vorwurf ist, dass man sich in Aktionen des Kulturhauptstadtjahres sehr reingehängt und dafür viel Geld ausgegeben hat. Mit dem gleichen Geld könnte man sich hier über Jahrzehnte konstant in der freien Szene engagieren, in kleinerem Rahmen etwas für Institutionen tun können, die hier jeden Tag Kultur machen.

Nicht, dass Sie mit Stratmanns Theater der Stadt den Rücken kehren ...

Wir haben auf dem Kennedy-Platz einen sehr exponierten Standort, da will ich nicht weg. Ich habe mich mittlerweile damit abgefunden, dass die Stadtspitze sich nicht für mich interessiert. Dabei mache ich in meinen Vorstellungen in ganz Deutschland Werbung für das Ruhrgebiet, umgekehrt kommt aus der Verwaltung nichts zurück.