Essen. .

In der Lichtburg feiert am Mittwoch mit dem Film „Herbstgold“ ein anrührendes Stück über betagte Sportler Premiere. In der Essener Seniorensportgemeinschaft geht es „nur“ um Fitness - von Jugendwahn keine Spur.

Alfred ist 100 und Diskuswerfer, Jiri übt sich mit 82 noch im Hochsprung, Ilse (85) ist Kugelstoßerin - und alle drei sind WM-Teilnehmer. Natürlich sind Alfred, Jiri und Ilse nicht repräsentativ für ihre Altersklasse, gerade deswegen hat Jan Tenhaven sie für seinen Dokumentarfilm „Herbstgold“ begleitet, hat ihnen beim Training und beim Leben zugeschaut. Das Ergebnis feiert am Donnerstag, 1. Juli, um 14 Uhr im Rahmen des Seniorenkinos Premiere. Dann werden auch die Protagonisten und der Regisseur in der „Lichtburg” erwartet.

Tenhaven selbst beschreibt sich als Typ Turnbeutelvergesser, verbissener Ehrgeiz sei ihm bis heute peinlich. Seinen Film will er verstanden wissen als „Hommage an das Leben, das man auch auf der Zielgeraden noch feiern sollte”. Genau das tun auch all diejenigen alten Menschen, die nicht Leistungs-, sondern Breitensport betreiben; zum Beispiel die 1600 - vorwiegend weiblichen - Mitglieder der Essener Seniorengemeinschaft für Sport und Freizeit (ESG). Die Gemeinschaft feiert gerade ihr 25-jähriges Bestehen, und es gibt Aktive, die vom ersten Tag an dabei waren. Was angesichts der Altersstruktur erstaunlich ist: „In unseren Verein treten manche erst mit 80 ein, und eine Dame war noch mit 99 aktiv”, erzählt ESG-Geschäftsführerin Susanne Kühnel.

„Fürchte Dich nicht, langsam zu gehen - fürchte Dich nur, stehen zu bleiben”

Selbst bei den Übungsleitern kennt die ESG keinen Jugendwahn: Nehmen wir Maria Ullmann, die ist 82 Jahre alt, hat ihr Leben lang gern getanzt, auch einen Tanzkreis in der Kirchengemeinde geleitet. Als sie sich zur Senioren-Tanzleiterin ausbilden ließ, war sie schon über 60. „Mein Mann hat mich überredet, ich hatte ja etwas Angst.” Viel Talent hatte sie aber auch: Als sie Zweifel an ihrer Eignung äußerte, sagten die Ausbilder: „Und wie Sie geeignet sind! Sie können sich bewegen!” Noten lesen konnte sie sowieso.

Drei Jahre fuhr Maria Ullmann zu den Fortbildungen nach Münster und Bielefeld, legte dann ihre Prüfung ab. Da übte sie mit einer fremden Gruppe Sitz-Tanz und Paar-Tanz ein, erklärte, wie man die Knotenmühle in „Der kleine Figaro” tanzen muss und „dass man mit dem alten Skelett behutsamer umgehen muss als mit einem jungen”.

Wenn Sie am Mittwochnachmittag im Friedrichsbad in Frohnhausen zum Seniorentanz bittet, kleidet sie diese Erkenntnis in ein Sprüchlein: „Fürchte Dich nicht, langsam zu gehen - fürchte Dich nur, stehen zu bleiben.” Los geht’s, das Tempo gemächlich, die Schrittfolgen anspruchsvoll. „Seniorentanz ist auch ein gutes Gedächtnistraining und eine wichtige Übung für Menschen, die schon lange allein leben”, erklärt Susanne Kühnel. Denn alle müssen aufeinander eingehen, auch wenn wenn das wie beim „Figurini” anfangs für Chaos sorgt. Maria Ullmann bleibt gelassen, behält den Überblick und sagt nach einigen Wiederholungen zufrieden: „Ja, der Figurini bringt die Hormone durch einander!”

So mag es auch Günther Stalljann sehen, der viermal pro Woche tanzen geht. „Das ist das Letzte, was ich missen möchte!” Dass er schon 87 Jahre alt ist, wischt er lächelnd beiseite: „Meine Vorfahren sind alle so 90, 95 geworden. Keiner von denen wollte in den Himmel - da ist doch nix los!” Das Zitat könnte Herbstgold-Regisseur Jan Tenhaven gefallen, der vom anarchistischen Trotz seiner Hauptdarsteller schwärmt, von der „sturen Jetzt-erst-recht-Haltung, mit der sie der eigenen Vergänglichkeit begegnen”.