Essen. .
Jonathan Meese ist Selbstinszenierung. Obwohl es seinen Worten nach nie um ihn, sondern nur um die Sache geht. Wie sich seine Radikal-Ansichten mit Homers „Odyssee” verknüpfen lassen, erfuhren die Zuhörer in der ausverkauften Casa ganz exklusiv.
In der einstimmenden Vortragsreihe zum Projekt „Odyssee Europa”, das am 27./28. Februar Premiere in sechs Theatern des Ruhrgebiets feiern wird, hatte das Schauspiel Essen Jonathan Meese eingeladen, hatte sich eingelassen auf einen eigenwilligen Aktionskünstler, der jede Bühne zur eigenen Performance nutzt. Wer einen akademisch-soliden Vortrag erwartet hatte, wurde böse überrascht. Wer Meese erwartet hatte, wurde nicht enttäuscht.
Meese startet seine Show mit einem Manifest („Das habe ich heute morgen im Hotel geschrieben”). Dafür zieht er sich kurzzeitig Sonnenbrille und seinen „metabolischen” Mantel über. Er fordert obsessiv, die Demokratie abzuschaffen, und das Ich gleich mit. Odysseus habe es richtig gemacht, ihm sei es nur um die Kunst gegangen.
„Selbstverwirklichung gibt es bei Meese nicht“
Als Beweis für seine Thesen lässt er Ausschnitte aus dem Kinderhörspiel „Die Irrfahrten des Odysseus” abspielen. Mit knarzend-grausamer Stimme verspeist da der Kyklop Odysseus’ Gefährten. Wer das in seiner Kindheit hört, wird also zum Demokratie-Verächter. Meese hebt den Zeigefinger und die Stimme, als wolle er persönlich die Weltherrschaft übernehmen. Aber darum geht es ihm ja nicht. „Selbstverwirklichung gibt es bei Meese nicht”, erklärt er. Nicht der Künstler gehöre an die Macht, sondern die Kunst.
Das klinge doch sehr nach Marinetti, der 1910 „Kunst an die Macht” forderte, wirft Moderator Thomas Oberender, Dramaturg und Schauspielleiter der Salzburger Festspiele, ein. Und noch häufiger bohrt Oberender nach, provoziert den Performer mit den langen braunen Haaren, dem Bart und seiner schwarzen Adidasjacke. „Die Demokratie erlaubt doch auch dich”, meint der Moderator. Oder: „Im Grunde trittst du ja auch als Diktator auf.” Meese reagiert meist mit einem kurzen Lächeln.
Wirklich laut wird er erst zum Ende, als Oberender gezwungenermaßen das Gespräch für das Publikum öffnet. NSDAP-Verharmlosung, Geschichtsunkenntnis und Diskursunfähigkeit wird ihm vorgeworfen. „Ich soll hier eine Show abliefern”, kontert Meese. Das hat er, eine sehenswerte.