Essen. Beim Graffiti-Festival Hafendampf bilden die Pfeiler der A 42 eine Projektionsfläche für Street-Art-Künstler aus ganz Deutschland. Ein Rundgang.

Künstlerische Vielfalt in ganz großem Maßstab – die entsteht einmal im Jahr, wenn sich die Sprayer-Szene unter der A 42 im Stadthafen Essen trifft. Ganz legal sprühen namhafte Graffiti-Künstler auf zwölf großen Brückenpfeilern der Autobahn und der etwa 30 mal zehn Meter großen Abschlusswand. Eine Freiluftausstellung, die in NRW ihres gleichen sucht, denn öffentliche Flächen für diese Art urbaner Kunst sind rar – und an Vorurteilen mangelt es nicht.

„Es gibt leider immer noch viele Menschen, die beim Thema Graffiti nur die Kritzeleien auf dem Bahnsteig vor Augen haben. Dabei ist das eine eigene und anerkannte Kunstform, die sich Ende der 60er Jahre in Amerika entwickelt hat. Und etliche der hier angereisten Künstler stellen normalerweise in Galerien aus“, sagt Ingo Ahlborn. Zum siebten Mal organisiert er gemeinsam mit David Hufschmidt das Graffiti-Festival „Hafendampf“ in Zusammenarbeit mit der Sprayerinitiative Essen und dem Jugendamt der Stadt Essen.

Jedes Jahr aufs Neue bilden die Betonpfeiler eine Projektionsfläche für Street-Art-Künstler aus ganz Deutschland.
Jedes Jahr aufs Neue bilden die Betonpfeiler eine Projektionsfläche für Street-Art-Künstler aus ganz Deutschland. © STEFAN AREND

Wie ein großes Familientreffen

Sie haben sich Leitern mitgebracht und Gerüste, Paletten von Sprühdosen stehen auf dem Boden. Auf der Betonwand, die kurz zuvor grundiert wurde, entsteht Schritt für Schritt aus dem skizzierten Motiv ein Bild.

Das können, ganz klassisch für dieses Genre, verschlungene Buchstaben sein. Wie bei „Nomad“. Der Hamburger Street-Art-Künstler reist seit gut 25 Jahren um den Erdball, hat seine künstlerischen Spuren unter anderem in Berlin, Athen, Prag, Paris und Barcelona hinterlassen, war in San Francisco und Hollywood, auf der Straße und bei den Stars zuhause. Er ist eben ein „Nomade“, hat seit langem einen Ruf in der Szene – und findet das Zusammentreffen mit anderen seines Fachs bei diesem Festival in Essen „unglaublich toll“.

Graffiti entwickelte sich Ende der 1960er Jahre zu einer eigenen Kunstform. Etliche der Künstler, die an der Hafenstraße ihre Kunstwerke hinterlassen haben, stellen in Galerien aus.
Graffiti entwickelte sich Ende der 1960er Jahre zu einer eigenen Kunstform. Etliche der Künstler, die an der Hafenstraße ihre Kunstwerke hinterlassen haben, stellen in Galerien aus. © STEFAN AREND

„Es ist sehr familiär“, bestätigt Felix Gebhart, der mit seinem Bruder Matthias aus Berlin angereist ist. Auch sie sind schon seit 30 Jahren aktiv. „Icocalypse“ haben sie ihr Stück genannt, das auf der Betonwand einerseits typographische, andererseits figürliche Elemente enthält. Thematisch setzen sich die Künstler mit der zunehmenden Umweltverschmutzung und der Bedrohung für die Tierwelt auseinander. Gebürtig sind sie übrigens aus dem Ruhrpott, sprich Bochum. Und in der alten Heimat mit Gleichgesinnten zusammenzutreffen und sich auszutauschen, „ist wie ein großes Familientreffen“.

Jugendliche gestalten eigenen Betonpfeiler

Neben den etablierten Graffiti-Künstlern haben auch Newcomer die Gelegenheit, sich an den Betonwänden auszuprobieren und ihre Bilder ebenfalls in der Freiluftgalerie zu präsentieren. Ein Brückenpfeiler wird komplett von Jugendlichen aus Essen gestaltet: In einem Workshop im Julius-Leber-Haus haben sie sich unter der Leitung des Kunstpädagogen Martin Domagala ein Motiv ausgedacht: Weltraum-Wesen schauen auf die Erde und sehen dort vor allem eins, das Schild „Sprayen verboten“.

„Wir wünschen uns viel mehr Flächen, auf denen das Sprühen erlaubt, ja sogar erwünscht ist“, sagt Geraldine Böttcher vom Jugendamt der Stadt Essen. „Sprayen ist ja auch ein Ausdruck von Jugendkultur und die Auseinandersetzung der jungen Menschen mit ihrer Umwelt.“ Kreative Menschen, so gibt Böttcher zu bedenken, „die später einmal unsere Gesellschaft formen“.

Zwei Tage lang sind die Künstler mit den Sprühfarben aktiv. Für sie ist es eine Art Familientreffen der Graffiti-Szene.
Zwei Tage lang sind die Künstler mit den Sprühfarben aktiv. Für sie ist es eine Art Familientreffen der Graffiti-Szene. © STEFAN AREND

Erklärtes Ziel der Freiluftgalerie sei es deshalb vor allem, den Dialog zwischen der Gesellschaft und den Künstlerinnen und Künstlern zu schaffen, betont Ingo Ahlborn. „Das Schöne ist, dass die Kunstwerke jederzeit besichtigt werden können. Für ein ganzes Jahr.“ Dann allerdings werden sie übermalt, um erneut als Plattform für Street Art zu dienen.

Das sind die Künstler

Folgende Künstlerinnen und Künstler haben mitgewirkt: Anna T-Iron, Birne, Bobby Analog, Choko, Coke, Coconut, Cva Crew, Dater127, Demon, Dxtr, Endzeit, Fnack, Felix & Matthias Gebhart, Hacf Crew, Hrvb, Ifm Crew, Kayo, KJ263, Magic, Mero, Most, Mynt, Morethanwords, Nomad, Qumi, Rait, Random Exp, Rookie, Semor, Tank, Tris, Top Notch, Tka Crew, Ursula Meyer und Weis.