Essen. . Gustav Rueb inszeniert die deutschsprachige Erstaufführung von „Frankenstein“ im Schauspiel Essen
Monsterdämmerung im Schauspiel Essen: In Nick Dears Neubearbeitung von Mary Shelleys Grusel-Klassiker „Frankenstein“ wird nicht nur die schauerliche Fratze einer künstlich zusammengeflickten Kreatur ausgestellt, sondern auch die seelischen Narben und Verletzungen dieses ausgestoßenen Ungetüms. Die von Gustav Rueb wirkungsvoll inszenierte deutschsprachige Erstaufführung wurde im Essener Grillo-Theater jetzt mit tosendem Applaus aufgenommen.
Erzählt wird die Geschichte hier aus der Perspektive des Wesens und so ist es der Abend von Axel Holst, der dieser schon unzählige Male überzeichneten Roman-Kreatur neues Leben einhaucht, abstoßend und anrührend zugleich. Schon sein Sturz ins Leben ist von enormer Wucht: Ein schleimiges, bloßes, beflecktes Bündel Fleisch mit konvulsivischen Zuckungen und krächzenden Lauten, deren Mensch-und-Monster-Werdung das Stück in schnellen, flackernden Szenen erzählt. Das Wesen findet einen blinden Lehrer, der ihm Sprache, humanistische Werte und Minton-Gedichte beibringt. Aber die, die nicht mit dem Herzen sehen, prügeln ihn brutal davon und den Hass hervor. Das Monster wird zur rächenden Mordmaschine auf der Suche nach ein bisschen Menschlichkeit.
Rueb inszeniert den Abend auf Daniel Roskamps drehbarer Bühne zwischen einem überdimensionierten Leichen-Schrank und waberndem Trockeneisnebel stimmungsvoll, aber ohne übermäßige Schauereffekte. Riesige Masken-Gesichter suchen die Brechung zum übermächtigen Roman-Mythos. Doch die ironischen Ausflüge ins Splatterfach wirken eher bemüht, da ging es in der Menschbastelbude eines Frank N. Furter schon aberwitziger zu als bei Doktor Frankenstein, den Thomas Meczele als grübelnd-verkniffenes Ego-Monster spielt, mit Backenbart und großem britischem Karo. Ein Wissenschafts-Maniac, ohne Kenntnis von der Apparatur des eigenen Herzens. Silvia Weiskopf ist seine bedauernwerte Verlobte und weibliche Kreatur, Janina Sachau der quirlige kleine Frankenstein-Bruder mit Matrosenmütze (Kostüme: Dorothee Joisten), Jens Winterstein gibt den gestrengen Vater.
Im Mittelpunkt aber steht der ungleiche Kampf zweier Männer, bis die körperliche Wucht des Ungetüms allmählich mit seiner Argumentationskraft einhergeht. Holst macht daraus eine kleine Anthropologie-Studie im Schnelldurchlauf, wie er seine Kreatur vom tastenden Zehengang auf die Füße stellt und von seinem Schöpfer nicht wenige verlangt als die Komplettierung seiner Existenz: er will eine Frau. Doch das Experiment findet keinen Abschluss. Dear zeigt, anders als Shelley, kein Ende mit Schrecken, sondern ein Schreckensdasein ohne Ende. Was da im Moment menschlicher Hybris geschaffen wird, soll uns noch lange verfolgen.
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