Ulrich Stiehler ist in Kettwig aufgewachsen, von 1973 bis 1992 war er Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde. Mit der Historie beschäftigt er sich nicht nur anlässlich des Jubiläums. Er weiß viel über die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, die Zeit nach dem Zusammenbruch.

Ulrich Stiehler ist heute 67 Jahre alt. Er erinnert sich und weiß aus Erzählungen, „dass das Dritte Reich auch in der Gemeinde deutliche Spuren hinterlassen hat. Durch BDM und HJ lag die kirchliche Jugendarbeit am Boden. Die Zahl der Gottesdienstbesucher war dramatisch zurück gegangen, das Kirchengebäude – besonders Dach und Orgel – durch Granaten stark beschädigt.” Die ersten Gottesdienste nach Kriegsende wurden im Wichernsaal abgehalten. Restauriert wurde die Kirche am Markt in den Jahren 1947 und 1948 – allerdings mit Änderungen. Ulrich Stiehler: „Von der Gestaltung war sie eine reformierte Kirche. Klar und sachlich. Doch der damalige Pfarrer Unger war lutherisch geprägt und hat die Kirche den lutherischen Gedanken angepasst.” Früher habe es keinen Altar gegeben, die erste Reihe der Bänke habe direkt unter der Kanzel gestanden – „da kam das Wort Gottes quasi senkrecht von oben”. Ein Kettwiger Schreiner baute einen Altar, der weiße Putz wurde von den Wänden geschlagen, die Bruchsteine freigelegt. 1949 wurde der erste Gottesdienst in der Kirche am Markt gefeiert.

„Die Menschen haben damals den Neubeginn gesucht, obwohl einige Mitglieder des Presbyteriums im Dritten Reich aktiv gewesen waren”, sagt Ulrich Stiehler. Der CVJM erlebte einen enormen Aufschwung, und in den 50er und 60er Jahren bestand eine wichtige Aufgabe der Gemeinde darin, sich um die Flüchtlinge zu kümmern, die in großer Zahl nach Kettwig kamen.

1958 wurde die vierte Pfarrerstelle genehmigt, 1959 das Bonhoefferhaus gebaut, 1965 das Tersteegenhaus – Reaktion auf den Zuspruch, den die Evangelische Kirchengemeinde damals erlebte. „Als ich Anfang der 70er Jahre angefangen habe, gehörten 12 000 Mitglieder zu unserer Gemeinde.

Die anstehende Gebietsreform stieß in Kettwig auf Widerstand – „man wollte unbedingt selbstständig bleiben”. Die Häuser in Auf der Höhe wurden gebaut – und ein ökumenisches Gemeindezentrum. 1975 wurde der katholische Teil eingeweiht, 1982 setzte Ulrich Stiehler gemeinsam mit Pfarrer Gerd Steinberger den ersten Spatenstich für den evangelischen Bereich. „Ein wichtiger Schritt, denn dieses Zentrum ist ein Ausdruck lebendiger Kirche. Wir waren damals Vorreiter, hatten so etwas wie eine ökumenische Gemeinde.”