Essen-Kettwig. Viele Lehrer in NRW fordern Reformen beim Turbo-Abitur, und auch bundesweit geht der Trend weg von G8, zurück zu neun Schuljahren bis zur Reifeprüfung..
Stephanie Klein bekommt hautnah mit, was Leistungsdruck für Schülerinnen und Schüler bedeutet. Seit 2002 leitet sie die Sprachenwerkstatt mitten in Kettwigs Altstadt, in der Kaiserstraße. Sie hat Anglistik, Amerikanistik und Theaterwissenschaften studiert. Und noch Deutsch, Pädagogik und Geschichte. Wenn es ums Thema Lernen geht, macht der 42-Jährigen so schnell keiner etwas vor.
Schon als Kind wusste sie genau, dass sie später Lehrerin werden wollte - das machte allerdings auch einsam, denn „mit den Freunden war es schwierig. In meinem Kinderzimmer hing eine Tafel und ich wollte immer die Lehrerin sein“, sagt sie und lacht.
15 bis 20 Lehrer arbeiten in ihrer Sprachenwerkstatt - vom Studenten bis zum freiberuflichen Sprachdozenten. Und die Geschäfte laufen, denn „immer mehr Firmen investieren in die Ausbildung ihrer Mitarbeiter“. Hauptsächlich Englisch unterrichten Klein und ihr Team, aber im Zuge der Globalisierung auch Spanisch, Russisch und Chinesisch.
Eigentlich wollte sie gar keine Nachhilfeschule eröffnen. Aber der Bedarf war da. Und er wächst stetig. Parallel zum steigenden Leistungsdruck, für den unter anderem das Turbo-Abi sorgt. Aber nicht nur äußere Umstände erschweren das Kindsein und die Zeit als Jugendlicher. „Es kommen Eltern von Zwei- und Dreijährigen, die wollen, dass ihre Kinder Englisch oder Spanisch lernen. Ich persönlich glaube nicht an einen pädagogischen Sinn.“ Das Kindsein stellt sich Stephanie Klein ganz anders vor: „Sie sollten besser lernen, dass man noch Tage später Sand zwischen den Zähnen spürt, wenn man Matsche in den Mund steckt.“ Es gebe auch keine Garantie dafür, dass ein Kind, das sehr früh lernen muss, hinterher besser werde.
Der Druck, der auf den Familien herrscht, betrifft alle Bereiche. Stephanie Klein: „Die Kinder haben bis nachmittags Schule und kaum Freizeit. Es ist schwer, einen freien Platz in ihren Terminkalendern zu finden.“ Zur Nachhilfe kommen sie oftmals in den Ferien oder spät am Abend. „50 Prozent der Schüler nehmen Nachhilfe - manchmal in drei Fächern.“
Wenn Stephanie Klein könnte, wie sie wollte, würde sie das deutsche Bildungssystem umkrempeln. „Es müsste auf jeden Fall ein Fach geben, dass ‘Leben’ heißt. Die Kinder sind derart überlastet, dass Sitzenbleiben ein Geschenk sein kann.“ Sie erinnert sich gut an zwei 13-jährige Jungen, die in ihrer Sprachenwerkstatt Nachhilfe nahmen. „Die waren richtig froh, hier zu sein, weil es in ihrer Schule und im Unterricht so schrecklich laut sei.“
Eine Rückkehr zu alten Werten wünscht sich Stephanie Klein. Und Gelassenheit. „Die Kinder eilen in der Schule von Thema zu Thema und es bleibt keine Zeit, um in die Tiefe zu gehen.“
Zeit für sich - das wünscht sie den Kindern und Jugendlichen. Und gerade G8 lässt keine Zeit. „Das ist besonders schwierig für Jungen, denn sie sind nun einmal Spätentwickler und stehen dann plötzlich mit 17, 18 Jahren vor wichtigen Entscheidungen.“ Hilfreich seien da Schulen, die ein starkes soziales Konzept hätten und vieles auffangen würden.
Stephanie Klein ist Lehrerin aus Leidenschaft und umso mehr bedrückt sie das, was falsch läuft. „Eigentlich ist es egal, welche Methode man anwendet, ob die Klassen groß oder klein sind. Einziger Garant für eine gute Zeit auf der Schule sind gute Lehrer. Wie man Wissen vermittelt, darauf kommt es besonders an.“
Und dann brauchen die Schüler auch genügend zeitlichen Freiraum. Womit wir wieder beim Thema Turboabi wären. Am 5. Mai geht es bei einem Spitzentreffen in NRW um die Zukunft von G8.