Essen-Werden. Es ist eines der wenigen Bücher, die man nicht bei Amazon bestellen kann. Der Band „Werdener Kanon der Literatur“ ist durch und durch ein Heimatbuch – von der ersten Idee bis zur gebundenen Ausgabe. Einhundert Werdener Bürger haben auf je ein bis zwei Seiten ihre Lieblingsbücher rezensiert. Von James Joyce‘ „Ulysses“ bis hin zu weniger berühmten Geheimtipps ist fast alles dabei.
Die Idee, einen Band über die Lieblingsbücher der Werdener herauszugeben, stammt von Buchhändler Thomas Schmitz. „Ich saß mit einigen Kollegen in unserer Buchhandlungsküche und wir haben überlegt, was wir zusammen mit den Kunden machen könnten. Heute werden Aktionen häufig online gemacht und so gut wie nichts mehr offline. Da hatten wir die Schnapsidee, die Leute einfach direkt anzusprechen und zu fragen, was sie gerne lesen.“
Die Aktion sollte nicht nur ohne das Internet laufen, sondern auch die Rollen vertauschen: „Denn normalerweise fragen die Kunden ja uns im Laden, was wir empfehlen können, und nicht umgekehrt.“
Diesmal wollte Schmitz von den Lesern wissen, welches Buch sie in letzter Zeit besonders spannend fanden oder welches sie besonders berührt hat – oder auch, welches Buch sie schon ihr ganzes Leben lang begleitet hat. Dabei herauskamen „100 Leser – 100 Bücher – 100 Meinungen“. Wegen der großen Resonanz ist Schmitz „von der Idee abgerückt“, nur eine kleine Taschenbuchausgabe zu machen. Das 122 Seiten starke Buch liegt jetzt in edlem Hardcover-Einband vor.
Beim Durchblättern des Bandes fallen die Rezensenten zuerst ins Auge. Neben jedem Text stehen in größerer Schrift Name und Beruf des Verfassers. Die jüngste Autorin ist die 14-jährige Schülerin Ariane Baumann. Sie hat das Jugendbuch „Selection“ von Kiera Cass besprochen, in dem das Mädchen Mer sich zwischen zwei Jungen entscheiden muss: „Besonders an dieser Geschichte ist der Reiz, einen zukünftigen König haben zu können, oder eben nicht.“
Demgegenüber stehen Klassiker wie Patrick Süskinds „Das Pafum“, rezensiert von Lehrerin Gaby Totzek-Schlingmann: „Einfach genial, wie die Sucht Grenouilles nach dem perfekten Duft fast physisch erlebbar wird. Wie spannend zu erfahren, dass ich mich auf die Seite Grenouilles schlagen konnte, immerhin ein Massenmörder.“
Thomas Schmitz ist begeistert von der „Bandbreite“, die die Werdener zusammengetragen haben. Es hätten sehr unterschiedliche Menschen mitgewirkt: „Vom Schüler bis zum Altrichter, vom Wissenschaftler bis zum Gärtner.“ Auch sei der „Werdener Kanon der Literatur“ für Überraschungen gut: „Neugierig gemacht hat mich gleich Reinhard Joppichs Text. Er hat einen kleinen italienischen Roman besprochen. Der hat mich so angezogen, dass ich ihn sofort gelesen habe.“
Selbst wenn man den Rezensionsband bei Internethändlern bestellen könnte – empfohlen würde er dort wohl nicht. „Amazon schlägt nie etwas Überraschendes vor, sondern orientiert sich an früheren Bestellungen.“ In kleinen Buchhandlungen dagegen könnten die Kunden sich gegenseitig Tipps geben. Das zeige auch der „Kanon“: „Er schlägt völlig querbeet Lieblingsbücher vor. Da kann es vorkommen, dass man denkt: Genau das hätte ich gerne.“