Essen-Werden. Mit zunehmender Altersreife könne man seine angeborene Fremdenangst und gewisse Vorurteile ablegen, zum Beispiel die gegenüber Obdachlosen, die gemeinhin als trunksüchtige Penner gelten, berichtete kürzlich ein bekannter Radio-Sender. Letzteres festmachen kann man an „Hanno“. Irgendwie passt er zum Ludgerusbrunnen, dort, wo er zwischen seinen Plastiktüten im Schatten der Basilika seit Oktober sitzt und auch schläft, wenn es nicht regnet. Ansonsten übernachtet er im Eingangsbereich der nahen Buchhandlung oder vor der Deutschen Bank.

„Hanno ist mein Straßenname, der kommt von der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover, wo ich die meiste Zeit meines Lebens verbracht habe.“ Seinen bürgerlichen Namen möchte er nicht preisgeben, den wisse nur ein einziger Mensch in Werden.

„Nach meiner Scheidung habe ich beschlossen, für drei Monate durch Deutschland zu fahren“, erzählt der 58-Jährige, „und daraus werden im kommenden Januar aber elf Jahre.“ Der gebürtige Oberhausener lebt „nur von gespendetem Geld“ und nimmt „keine Sozialleistungen in Anspruch.“ Er sei ein „gläubiger Mensch“. „Im Alten Testament heißt es, Du sollst nicht mehr sammeln, als man einem Tag braucht, es sei denn, es ist Wochenende, dann kann es schon mal ein wenig mehr sein...“

Der gebürtige Oberhausener nimmt keine Sozialleistungen in Anspruch

Dann zitiert „Hanno“ seine Lebensphilosophie, die aus dem Neuen Testament stammt: „Wenn Du hast, dann teile, Du kannst nichts mitnehmen, wenn Du stirbst.“ Gerne wäre er bei der Verkündigung der Weihnachtsbotschaft dabei gewesen, als die Engel sagten: „Fürchtet Euch nicht, denn Euch ist heute der Heiland geboren.“ Zu den Hirten hätte er auch gerne gehört, die nach den Eltern zuerst in Jesus Nähe waren. „Aber leider ist das vorbei und nicht mehr zu wiederholen.“

Heiligabend verbringe er am Ludgerusbrunnen, „vielleicht schaut mal der eine oder andere vorbei“. Ob der Buchklassiker „Momo“ von Michael Ende bekannt sei, fragt er, der einen rasputinhaften Bart trägt. Und erzählt von Momo, die mit ihren großen runden Augen ihr Gegenüber ansah und einfach nur zuhörte und nichts sagte. So kam der andere ganz allein auf die Lösung seines Problems. „Ich spreche keinen an und bettele auch nicht, die Leute sprechen mich an und kommen auch wieder, manchmal empfinde ich mich als Momo hoch zwei.“ Von einem Banker berichtet „Hanno“, der „fast jeden Tag zu mir kommt, mir einen Euro oder Brötchen mitbringt. Das ist ungewöhnlich. Normalerweise haben die einen Stacheldraht in der Tasche.“

„Werden ist eine Stadt der Engel“, lobt er. Von der Chefin der Metzgerei Mirbach bekomme er morgens ein belegtes Brötchen und vom Kiosk daneben die Zeitung zum halben Preis. Von einer Bäckerei in der Nähe bekomme er zwei Brötchen, wenn er nur eins kaufen wolle. Den Anhänger zu seinem Fahrrad habe man ihm auch gespendet, ebenso wie die Schnürstiefel.

Zur Toilette gehe er auf die Dixie-Klos der umliegenden Baustellen. „Nachts ist es mir bis jetzt nicht zu kalt“, sagt Hanno, der die WAZ, FAZ und Die Welt liest, ein Handy und ein Kofferradio sein Eigen nennt, „ich habe Schlafsäcke und Iso-Matten, bis 20 Grad Minus halte ich es ohne weiteres aus“.

Am Brunnen hat er einen kleinen Adventskranz aufgestellt, zusammen mit seiner „Spendenschüssel“ und einem Engel: „Der liest, wie ich.“ Der gebürtige Rheinländer liest aber nicht aus einem gedruckten, sondern aus einem Elektronischen Buch, denn die Print-Bücher seien im bei seinen Fahrten viel zu „schwer“. Die aktuellste Literatur, die er lese, sei die von Margot Käßmann, der ehemaligen Landesbischöfin aus Hannover, die das Lutherjahr vorbereite.

„Bleiben Sie so wie Sie sind“, sagt die Kettwigerin Ingrid Kamminga zu Hanno, „ich erzähle meinen Kindern, wie toll es ist, dass Sie Zeitung lesen, sich für die Welt interessieren, Blickkontakt zu den Menschen halten und nicht alkoholisiert sind.“ Thomas Buch, Stadtteilpfleger für Werden: „Hanno ist seit Oktober hier. Irgendwie muss ihm geholfen werden, er wird von den Werdenern gut behandelt und ist friedlich.“

Was „Hanno“ wirklich will? „Ich werde hier überwintern und dann zur Ostsee radeln.“