Essen-Kettwig. Da sind sie. Die Probleme mit dem ersten Satz. Mit dem weißen Bildschirm. Wie sag ich’s bloß meinen Lesern, ohne zu persönlich zu werden, mit der unbedingt nötigen Distanz, aber auch mit der angebrachten Portion Empathie?
Ich rette mich vorerst in Fakten. Am Sonntag feierte meine Kollegin Felicitas Kapteina ihren 90. Geburtstag.
Ihre Verdienste um den Journalismus, um ihre Heimatstadt Essen und ihren Herzensstadtteil Werden sind an anderer Stelle ausgiebig gewürdigt worden.
Jetzt also der Empfang. An einem Ort, den sie nicht besser hätte wählen können. Beim Essen-Werdener Ruderclub. Im Vereinshaus, mit prächtigem Seeblick. Und mit der Familie, mit Kollegen, mit Freunden. Ein Empfang, den sie eigentlich nie wirklich wollte, den sie letztendlich aber genoss. Aber wenn schon, dann beim EWRC. Seit 50 Jahren ist sie dort Mitglied. Und gesegelt hat sie mit ganz großer Leidenschaft.
Halbe Sachen hat sie nie gemacht. In seiner Rede zeichnet ihr Sohn Ulrich Kapteina ein scharfes und sehr menschliches Bild seiner Mutter. Immer habe sie ein offenes Ohr für die Sorgen anderer gehabt. Furchtlos und kämpferisch habe sie ihre Meinung vertreten. Mutterschaft und Beruf brachte sie unter einen Hut, widmete sich mit Hingabe und akribischer Recherche den menschlichen Themen. Und einmal habe sie gesagt: „Ich verstehe nichts von Politik, aber ich merke sofort, wenn jemand lügt...“ Viele Auszeichnungen hat sie im Laufe der Jahrzehnte bekommen - „...dabei habe ich doch bloß ordentlich gearbeitet...“
An diesem Morgen bekommt sie ein bisschen von dem zurück, was sie gegeben hat. Die Zuneigung und der Respekt ihrer Gäste ist spürbar. „Ihr habt mich richtig gern“, sagt sie. Und - „das kann man sich nicht kaufen, das kriegt man geschenkt.“
Die Familie ist ihr wichtig. Und ihr Glaube. Wenn eines der Enkelkinder vor einer wichtigen Prüfung stand, musste der Heilige Ludgerus helfen. Eine Kerze brannte den ganzen Tag. Es hat geholfen.
Werden ist ihre Heimat. Der ist sie treu. Und sie verteidigt sie, wenn „die im Rathaus immer von der Zeche Zollverein sprechen. Hier bei uns haben die Äbte schon viel früher Kohle geschürft.“
Ein Weggefährte ist Wulf Mämpel. Der ehemalige Leiter der WAZ-Lokalredaktion Essen, kennt „Fee“ seit 1976. Eine perfekte Lehrerin für den journalistischen Nachwuchs sei sie gewesen und „wenn sie eine gute Geschichte beendet hatte, blitzten ihre Augen in Gruga-Grün und Baldeneysee-Blau“, sagt er. Die Gruga und der See - Themen, die Felicitas Kapteina nur zu gern betreut habe. Was die Menschlichkeit anginge, sei sie das Aushängeschild der Redaktion gewesen.
Menschlichkeit und Wärme. Immer wieder fallen an diesem Morgen Begriffe, die die 90-Jährige verlegen machen. Da lenkt sie lieber ab, redet von ihrer intakten Hausgemeinschaft. Alle helfen sich gegenseitig. Wie ein Zahnrad greife das ineinander. Das sei ein gutes Gefühl. Und die Nachbarn, die längst Freunde geworden sind, sind auch gekommen. An diesem Morgen.
Sie bekommt Geschenke und Ständchen. Eines schon am Tag zuvor. Per Telefon. Günter Eggert ist 85 und ehemaliger Leiter des Essener Polizeimusikcorps. Er spielt auf der Trompete den Triumphmarsch aus Verdis Aida. Für Felicitas Kapteina. Mehr geht nicht.