Essen-Werden. .
Alfred Kilzer blättert in seinem Terminkalender. Kaum ein Tag ohne Verpflichtung. Eigentlich könnte er den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Doch der 85-Jährige engagiert sich eben gern. Unter anderem im Seniorenbeirat der Stadt. Doch wenn er dann mal eine Auszeit braucht, fährt er an den Baldeneysee. Der Bikertreff an Haus Scheppen ist „mein zweites Wohnzimmer“.
An diesem Sonntagmorgen ist es relativ ruhig. Noch. Erste Maschinen stehen aufgereiht. Die Sonne spiegelt sich im Chrom der blitzsauber geputzten Motorräder. „Das hier ist ein Kommunikationstreffpunkt. Für Singles und für Pärchen, für Eltern mit Kindern, für Biker und Walker, für Spaziergänger und Inlinefahrer. So etwas wie den Treff hier gibt es in Deutschland sicherlich nicht noch einmal“, sagt Alfred Kilzer überzeugt.
Die Ehrenämter nehmenviel Zeit in Anspruch
Bereits seit 1970 kommt er regelmäßig. Holt sich zuerst bei Nicola Adrian, die einen der beiden Kioske betreibt, einen Pott Kaffee. „Und dann kommen sie meistens. Die Großmäuler, Dummschnuten und Besserwisser - so wie ich einer bin“, sagt er und lächelt.
Die Sache mit den Ehrenämter raubt ihm viel Zeit, denn „wenn man die Hand gibt, wird der Arm genommen und schließlich der ganze Kerl.“ Auch dieses Mal lächelt Alfred Kilzer. Wie eigentlich immer. Die Untersützung anderer Senioren liegt ihm sehr am Herzen. Und dann halt der Treff am See. Verändern müsse man hier eigentlich nichts. Es ist gut - so wie es ist. Vielleicht könnte es einige Parkplätze mehr geben. Alfred Kilzer, der mal „Tintenpisser“ war, wie er selbst sagt und das Steueramt der Stadt Essen leitete, hat da so eine Idee. „Man könnte das Parken für Motorräder längs des Campingplatzes Hardenbergufer ruhig erlauben. Da wäre schon viel gewonnen.“
Nicht nur sonntags schmeißt er sich Alfred Kilzer gern in Schale. Mit Anzug, Krawatte und einer Schiebermütze. Wie jemand aussieht, wie er angezogen ist, ob er einen Porsche oder einen alten Käfer fährt, das interessiere allerdings hier am See keinen Menschen. Jeder unterhalte sich mit seinem Nachbarn, alle seien freundlich zueinander. Auch das schätzt Alfred Kilzer an seinem „Wohnzimmer“. „Die soziologische Struktur ist hier ist etwas ganz Besonderes“.
Er zeigt uns auch den zweiten Kiosk am Platz. Die „Lieblingsbude“ hat Tahir Tasyurdu gepachtet. „Die haben hier eine Schiebetür, die kann man komplett schließen. Kaffeetrinken ist also auch mitten im Winter möglich. Vor Regen und Wind ist man dann bestens geschützt“, wirbt Kilzer. An einer Wand der „Lieblingsbude“ hängt ein Schaukasten. Mit alten Postkarten und Fotos, die den Bikertreff und die Ruine von Haus Scheppen zeigen. Dort ist heute ein kleiner Hafen, im restaurierten Nordostflügel gibt es ein Restaurant.
Auch Tahir Tasyurdu mag die Atmosphäre, die vielen verschiedenen Menschen, die an Bierzeltgarnituren oder entspannt auf weißen oder grünen Plastikstühlen sitzen. Meistens ab 7 Uhr in der Früh verkauft er die ersten belegten Brötchen. An 365 Tagen im Jahr haben er und Nicola Adrian ihre Kioske geöffnet. „Und man kann kaum glauben, was besonders an Heiligabend hier los ist“, schwärmt Alfred Kinzer.
„Schönen Tach auch“... er wird gegrüßt, grüßt freundlich zurück. „Hier sind sicherlich über 70 Prozent der Besucher Stammgäste“, weiß er. „Da kennt man fast zu jedem eine Geschichte.“
Alfred Kinzer hat seit 1943 einen Führerschein. Und irgendwann mal auch eine eigene Maschine gehabt. Das war eine Horex. Das erste Motorrad, das vorn Stoßdämpfer hatte. Zur großen Leidenschaft wurde das Bikerleben aber nicht. Irgendwie fehlte auch immer die Zeit.
Dann schon lieber in Ruhe einen Kaffee trinken, ein Schwätzchen halten - und einfach mal die Seele baumeln lassen. „Das kann man in Essen nirgendwo besser als hier.“ Auch da ist er sich sicher.