Essen-Kettwig. Manche Menschen haben einen Traum. Ihr Leben lang. Und dann gibt es Menschen, die sich diesen Traum erfüllen. Nicht reden, sondern tun. Die Geschäftsfrau Doris Krumey-Schröder wird ihre sichere Existenz aufgeben. Sie hat einen Nachmieter für ihre Wohnung gefunden, weiß ihren Laden an der Kirchfeldstraße in guten Händen - und ab Mitte September ist dann mal weg. Für mindestens ein Jahr. „Mal schauen, was noch kommt“, sagt die 57-Jährige und lächelt.

Die Verwirklichung ihres Traumes klingt einfach und doch so schwer, so abenteuerlich und gewagt. Sie wird mit einem 20 Jahre alten Motorrad die Panamericana fahren. Das legendäre Schnellstraßennetz verbindet Feuerland und Alaska. So rund 35 000 Kilometer hat sie vor sich. Angst? Zweifel? Keine Spur. Nur Begeisterung, Neugierde und Vorfreude.

Es war Anfang der 1960er Jahre. Sie ging mit ihrem Vater ins Kino. Auf dem Programm stand der Dokumentarfilm „Traumstraßen der Welt“ von Hans Domnick. Mit der Panamericana in der Hauptrolle. Vater und Tochter waren infiziert. „Seit zehn Jahren spukt dieser Gedanke wieder konkrekt in meinem Kopf herum“, sagt sie. „Und ich habe alles absorbiert, was es zu diesem Thema zu lesen gibt.“

Südamerika fasziniert sie besonders, Spanisch hat sie gelernt. Und irgendwann Nägel mit Köpfen gemacht. Einen Berg Bürokratie galt und gilt es zu bewältigen. Das Motorrad wird in einem angemieteten Container verschifft und landet in Südamerika. Dorthin fliegt Doris Krumey-Schröder - und dort beginnt auch eine Reise, die sie im Kopf sicherlich schon tausendmal gemacht hat. Sie wird die Wasserfälle von Iguazú an der Grenze zwischen Brasilien und Argentinien sehen, die Atlantikküste entlang fahren, Naturreservate besuchen und irgendwann im Dezember oder Januar an der Südspitze Südamerikas angekommen sein. Magelanstraße, Feuerland... „Um diese Zeit sind die Temperaturen dort sehr angenehm.“ Zweistellige Plusgrade. Und eine unendliche Weite. Die Vulkane von Peru, einen kalbenden Gletscher, die trockenste Wüste der Welt, Inkastätten.

Doris Krumey-Schröder wird Tagebuch führen, bloggen - und „ich habe eine Kamera mit GPS, damit ich hinterher noch weiß, wo ich die Bilder aufgenommen habe“.

Sie wird ihre Familie vermissen. Besonders ihre drei Kinder Marco (31), Nicole (30), Sebastian (26) und ihre Enkelin Lena. Die ist gerade anderthalb. Ein schönes Alter. „Vielleicht kommen sie mich ja besuchen. In Kalifornien oder Nordamerika“, sagt sie.

Doris Krumey-Schröder weiß, dass „diese Reise Spuren hinterlassen wird“. Nicht nur positive. Sie wird viel sehen, vor sozialen Brennpunkten nicht die Augen verschließen. Und irgendwann nach Deutschland zurückkehren? Das Fragezeichen bleibt. „Erst einmal ist ein Jahr geplant. Aber ich lasse alles auf mich zukommen.“ Freiheit, Spontaneität. Lange hat sie das vermisst, 16 Jahre lang ihr Geschäft geführt.

Irgendwie ist diese Wahnsinnstour auch ein Selbstfindungstripp. „Aber ich habe mir gedacht, dass ich jetzt mal an der Reihe bin.“ Vielleicht bleibt sie irgendwo im Nirgendwo. In Südamerika. Oder sonstwo. Oder sie kommt zurück. Und dann schreibt sie ein Buch. Über ihr Abenteuer.

Ihr Vater ist jetzt 80 Jahre alt. Er ist viel gereist. Die Panamericana hat er aber nie geschafft. Diesen Traum erfüllt sich aber jetzt seine Tochter.