Kettwig. .

Fast zwei eng beschriebe DIN A4-Seiten umfasste der Fragenkatalog, den der Grundkurs Geschichte am Theodor-Heuss-Gymnasium ausgearbeitet hatte. Und was die jungen Erwachsenen vom Europa-Abgeordneten Jens Geier nicht alles wissen wollten: Warum Politik? Wie stehen sie zur Wulff-Affäre? Muss Griechenland aus der Euro-Zone ausscheiden? Kann die Türkei EU-Mitglied werden?

Der 50-Jährige von der SPD macht hinter dem Lehrerpult in seinem blauen Pulli einen recht lässigen Eindruck. Vor dem Fenster knattert die Flagge der Europäischen Union im auffrischenden Spätwinterwind, drinnen gewinnt die Diskussion an Schwung. Wahlberechtigt dürften alle Anwesenden bereits sein, denn das Abitur rückt für die 21 Herren und Damen der Jahrgangsstufe 13 immer näher. Interessiert und konzentriert sind sie allemal. Kaum jemand, der sich keine Notizen macht, kaum jemand, der sich nicht an der Debatte beteiligt. Was ihnen der Straßburger Parlamentarier mit Wahlkreisbüro in Essen zu sagen hat? Mal gefällt’s, mal nicht. „Ein Bezirksvertreter, der falsch parkt, muss nicht gleich zurücktreten.“ Die Pointe saß und auch Kursleiter Christian Reindl kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Aber Wulff war doch beim besten Willen nicht mehr tauglich, sagen wir für den Vorsitz in einem Antikorruptions-Ausschuss.“

Dann wird Geier durchaus persönlich, beschreibt die Skrupel, die ihn bei einem Angebot eines großen Konzerns beschlichen. „Die kamen auf mich zu und versprachen mir Geld für meinen nächsten Wahlkampf.“ Annehmen oder ablehnen? Wann wird ein Abgeordneter käuflich? Der Politiker suchte Rat bei einem Wirtschaftsethiker. Der empfahl: Solange die Zahlung nicht an Bedingungen geknüpft ist, dir nicht das Versprechen abverlangt wird, im EU-Parlament für die Firma Partei zu ergreifen, darfst du das Geld nehmen. Geier ließ es auf ein Sonderkonto überweisen. Dort parkt es, bis 2014 über seine Zukunft in Europa erneut abgestimmt wird. Dieses Versprechen ist protokolliert. „Jeder Politiker muss sich seinen eigenen Wertekanon selbst erarbeiten“, so Geiers Überzeugung. Europa verteidigt er leidenschaftlich, sei es die Griechenlandrettung, sei es die Erweiterung. Um Kroatien, Island, warum nicht auch um die Türkei? Kein Problem, solange die Voraussetzungen stimmen. Stichwort „Kopenhagener Kriterien“. Die Schüler nicken wissend. Wirtschaftliche Stabilität, Garantie der Menschen- und Bürgerrechte, darüber wissen sie alle Bescheid.

Nach einer Doppelstunde zieht Geier zufrieden Resümee: „Freizeit war das nicht, lebhaft ging es zu und ich habe das Gefühl, dass ich vieles erklären konnte. Das gehört zu meinem Job.“ Ein kleines Geheimnis ließ sich der gebürtige Frankfurter noch entlocken: „Das Studium der Politikwissenschaft hilft nicht unbedingt im politischen Geschäft.“