Essen-Stoppenberg. .

Dr. Daniela Sander ist Schulpsychologin. Ihren Rat suchen allerdings nicht nur Kinder und Jugendliche. „Zu meinen Klienten gehören auch Lehrer und Eltern“, erklärt sie. „Ich hatte sogar schon Großeltern in meiner Sprechstunde.“ Jedem ihrer Klienten kann sie reinen Gewissens absolute Verschwiegenheit und Unabhängigkeit garantieren. „Ich stecke nicht im System Schule, bin keinem Rektor oder anderen übergeordneten Interessen verpflichtet. Allein das Wohlergehen der Menschen entscheidet.“

Die 35-Jährige schaut als unabhängige Dritte auf Probleme und Sorgen, sie versteht sich weder als Richterin noch als Anwältin. „Eine dritte Person hat die Chance, große Nöte kleiner zu machen.“

Das gilt auch am Mariengymnasium, bei den montäglichen Sprechstunden. Oder wann auch immer Hilfe im Gespräch angezeigt ist. „Erreichbarkeit stellt keine Belastung dar“, sagt die Bistumsbeamtin selbstbewusst. „Das Gegenteil ist der Fall. Das Wissen darum, jederzeit mit mir in Kontakt treten zu können, schafft Vertrauen.“ Und es sind beileibe nicht immer die großen Krisen. Auch bei dicker Luft zu Hause oder Zoff mit der besten Freundin hat sie ein offenes Ohr. „Da reichen schon mal drei Sätze in einem abendlichen Telefongespräch.“

Träger des Mariengymnasiums ist das Ruhr-Bistum. Es installierte ein Netzwerk für schulpsychologische Betreuung, dem auch Sozialarbeiter und geistliche Seelsorger angehören. Ihre Aufgaben sind klar definiert. So leistet Daniela Sander nur ausnahmsweise Arbeit in den Klassen, etwa wenn es gilt, hartnäckige Schulverweigerer wieder in den Alltag zu integrieren. Derlei Fälle seien nur mit Hilfe aller Beteiligten in den Griff zu bekommen, so die Überzeugung der Psychologin. Schwänzer und ihr direktes Umfeld geraten rasch in einen Teufelskreis, der Verbündete aus ihnen macht. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem Kinder und Jugendliche die Perspektive auf eine Rückkehr verlieren. Gleichzeitig entwickeln ihre Eltern Ängste: Der Nachwuchs könne von der Schule fliegen, die Polizei stehe bald vor der Tür.

Die Mutter zweier Söhne schaut sich bei Hausbesuchen das familiäre Miteinander an, muss zunächst die Eltern für sich gewinnen. Dann beginnt die nicht selten langwierige Arbeit mit dem Schüler. „Es gibt unendlich viele Gründe für Schulverweigerung“, weiß sie. Ihre Mission endet, wenn akuter Handlungsbedarf besteht, psychiatrische Störungen diagnostiziert werden. Und an einem einzigen Punkt endet Daniela Sanders Schweigepflicht. Sollte ein Hilfesuchender äußern, sich selbst oder anderen etwas anzutun, ist er erreicht. Dann muss sie eine gründliche Behandlung durch Psychotherapeuten einleiten.

Derart gravierende Ereignisse bilden allerdings die Ausnahme. Den Beratungsalltag bestimmen Pubertätsprobleme, Krach mit Eltern, Mitschülern, Geschwistern, Leistungsdefizite. Daniela Sander, die neben dem Mariengymnasium noch vier weitere Schulstandorte in Stoppenberg und Huttrop betreut, sieht sich unabhängig von der Lage im Stadtgebiet, sozialen Milieus, selbst unabhängig vom Geschlecht mit sehr ähnlichen Anliegen und Konflikten konfrontiert. „Auch in punkto physischer oder psychischer Gewalt erkenne ich keine signifikanten Unterschiede“, so die Diplom-Psychologin, die sich in ihrer Arbeit angenommen und akzeptiert weiß. „Ich kann natürlich nur schätzen, wie viele Schüler sich an mich wenden. Aber jene, die es tun, zeigen keine Scheu.“ Ein Satz wie „Ich kann nicht mehr!“ ist Ausdruck großer Hilflosigkeit, also Vertrauensbeweis. Nicht selten machen Klassenkameraden die Psychologin aufmerksam, wenn diese sich um ihren Banknachbarn sorgen.

Hilflosigkeit ist auchein Vertrauensbeweis

Ob sich am Schulklima im Mariengymnasium Werden nach der Öffnung für Jungs vor gut anderthalb Jahren etwas geändert hätte, kann Daniela Sander noch nicht bewerten. „Das wäre wirklich ein Thema für eine Langzeituntersuchung“, sagt sie und muss schmunzeln. „Im Ernst: Da haben wir es mit einer spannenden Entwicklung zu tun, die ich gern beobachte und begleite.“ In zwei bis drei Jahren sei eine Zwischenbilanz möglich.

Phänomene wie Burnout oder Mobbing hält sie für viel diskutiert, aber wenig verstanden. „Diese Erscheinungen existieren. Aber sie halten sich in Grenzen und nehmen bei weitem nicht den größten Teil meiner Arbeit ein.“ Was heute Mobbing genannt wird, wurde vor einigen Jahren unter Streit, vielleicht Schikane verbucht. Burnout taxiert Daniela Sander als Form der Depression.

„Wir haben es nicht mit Massenphänomenen zu tun“, urteilt sie. Das bedeute nicht, dass sie in der Praxis nicht vorkämen. „Schon die Ankündigung, etwas im Schulalltag zu verändern, kann tief greifende Verunsicherungen nach sich ziehen.“ Die Verkürzung auf acht Gymnasialjahre sei ein Paradebeispiel für sich selbst erfüllende Prophezeiungen. Sich einer drohenden Überforderung ausgesetzt zu sehen, kann sensible junge Menschen aus der Bahn werfen.

Daniela Sander hegt überwiegende positive Erinnerungen an ihre Schulzeit, gesteht aber freimütig ein, selbst Probleme mit Lehrern gehabt zu haben. „Das ungleiche Machtverhältnis bereitete mir Unbehagen. Meine Angst, ungerecht benotet zu werden, finde ich heute bei hilfesuchenden Schülern wieder.“