Kettwig. .

Gut eine Stunde lang informierten sich die Kettwiger Bürger bei einem Vortrag im Petershof zu dem Thema „Macht Fluglärm krank?“. Der Verein „Bürger gegen Fluglärm“ hatte Professor Eberhard Greiser eingeladen (wir berichteten). Der emeritierte Wissenschaftler der Uni Bremen mit Fachgebiet Epidemologie machte klar: „Zwischen Fluglärm und Herz-Kreislauf-Erkrankungen besteht ein ursächlicher Zusammenhang.“ Bei Frauen trete zudem ein durch die Lärmbelastung hervorgerufenes höheres Brustkrebsrisiko auf.

Die Daten, die den Experten zu diesem Ergebnis geführt haben, stammen aus zwei Regionalstudien aus den vergangenen Jahren, die sich auf Befunde von einer Million Krankenversicherter stützen.

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig habe in einem Urteil lediglich die Zeit zwischen Mitternacht und fünf Uhr in der Früh als „unantastbaren Kernbereich“ für die Nachtruhe festgelegt, erklärte Greiser zur Einstimmung in das Sachgebiet. „Ist unser Schlafbedarf nicht größer?“, fragte der Mediziner und erläuterte dann, seinem Fachwissen nach liege der nächtliche Schlafbedarf bei sieben bis acht Stunden für einen Jugendlichen, ein Säugling benötige gar 15 bis 17 Stunden Schlaf täglich. Bei Menschen zwischen 17 und 87 Jahren sei er laut einer Umfrage bei durchschnittlich acht Stunden pro Nacht anzusetzen.

2004 begab sich Greiser zum ersten Mal daran, zu überprüfen, ob nächtliche Störungen durch Fluglärm tatsächlich krank machten. Zur Auswertung seiner Studie, die die Verordnung von Medikamenten in der Bevölkerung untersuchte, zog er sechs unabhängige Beobachter heran.

Sechs unabhängige Beobachter

Eine Million Versicherte und insgesamt zwei Millionen Versicherungsjahre nahmen die Wissenschaftler dabei unter die Lupe. Erstes Ergebnis: Medikamente gegen Bluthochdruck, zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Krankheiten sowie Beruhigungs- und Schlafmittel wurden den Bewohnern von Fluglärmzonen häufiger und in größerer Menge ärztlich verordnet als jenen, die in ruhigen Arealen wohnen. „Bei allen diesen Mitteln steigen Häufigkeit und Menge der Verordnung mit der Intensität des Fluglärms“, stellte Greiser zudem fest.

Nun wurde das Umweltbundesamt aufmerksam und gab eine zweite Studie bei ihm in Auftrag. Greiser beschäftigte sich darin vor allem mit der Frage, ab welchem Grad die Fluglärmbelastung eine schädliche Wirkung zeigt. „Bereits bei einem Dauerschallpegel ab 40 db(A) gibt es erhöhte Erkrankungsrisiken“, musste der Wissenschaftler mit Erstaunen feststellen. Frauen reagierten zudem auf Fluglärm sensibler als Männer, besonders wenn sie über 40 Jahre alt sind. Bei beiden Geschlechtern war laut der Studie II eine Zunahme an Bluthochdruckerkrankungen zu verzeichnen, womit das Schlaganfallrisiko zunehme. „Ab einem Alter von 35 Jahren steigt der Blutdruck pro zehn db(A) höherem Dauerschallpegel um 14,1 Prozent.“ Dies belegten die Resultate einer aktuellen europäischen Studie.

Sodann stellte der Epidemologe in Tabellen und Grafiken dar, in welcher Höhe das Risiko, zu erkranken, unter Fluglärmbelastung ansteigt. Bei Frauen nimmt das Schlaganfallrisiko zum Beispiel bei einem Dauerschallpegel von 55 db(A) pro Nacht um 139 Prozent zu, bei 60 db(A) täglich sogar um 172 Prozent. Außerdem ließ sich beim weiblichen Teil der Bevölkerung ein erhöhtes Brustkrebsrisiko unter Fluglärmbelastung verzeichnen.

Kaum war die Studie Anfang 2010 veröffentlicht, stand Greiser nach eigenem Bekunden im Schussfeld der betroffenen Wirtschaftszweige. „Sofort warnte der Bundesverband der Tourismus-Wirtschaft vor Panikmache.“

Verantwortliche des untersuchten Flughafens Köln-Bonn haben unter Protest kundgetan, dass kein Gericht bisher die Ergebnisse der Studie anerkannt habe. „Haben Richter in der Regel epidemologische Erfahrung?“, hielt Greiser dem entgegen. Ein zweiter Vorwurf gegen die Studie bezog sich darauf, dass sie keine Privatpatienten berücksichtige. „Stimmt. Gegenfrage: Haben Privatpatienten eine andere biologische Ausstattung als Kassenpatienten?“

Alle weiteren Vorwürfe gegen ihn seien noch lächerlicher gewesen. Wenn man gegen Fluglärm ankämpfen wolle, so riet er, solle man das Risiko der eigenen Region wissenschaftlich erfassen lassen. „Denn die Schwierigkeit besteht darin, dass sich die Daten aus dem Bereich Köln-Bonn nicht unmittelbar auf die Region Düsseldorf übertragen lassen.“

Daten sind nicht unmittelbar übertragbar

Eine entsprechende Studie sei für Düsseldorf und Umgebung ohne Weiteres machbar, koste aber eine halbe Million Euro. Greiser weiter: „Dies ist nicht viel, wenn man bedenkt, dass in der Region 850 000 Menschen täglich von Fluglärm betroffen sind.“ Übrigens wesentlich mehr als im Sektor Köln-Bonn.