An Rhein und Ruhr. . Das Selbstschneidern von Kleidung und Accessoires will gelernt sein. Wir besuchen einen Nähkurs und lassen uns von einer Expertin Tipps geben.
„Regine, schau mal – die Naht muss ich wohl wieder auftrennen?“ Susanne Schagen löst das bearbeitete Stück aus der Nähmaschine. „Ich habe mir diesen etwas edleren schwarzen Stoff mit den Glitzereffekten für einen Rock ausgesucht“, erzählt die 55-Jährige. Der Schnitt ist abgesteckt und zugeschnitten auf ihre Figur – eigentlich kann nichts schiefgehen, denn Susanne Schagen ist keine Anfängerin, hat schon in jungen Jahren Spaß am Verarbeiten von Stoff gefunden.
Doch mit dem Bund und dem einzusetzenden Reißverschluss am Rock hapert es dieses Mal. „Du musst die Ecken umschlagen und das Futter mitnehmen“, stellt Regine Henrichs mit einem Blick fest. Wie gut, dass der Nahtauftrenner gleich griffbereit auf dem Tisch liegt.
„Trennen gehört zum Nähen dazu“, sagt Regine Henrichs mit einem Augenzwinkern. Was die Teilnehmerinnen ihrer Nähkurse häufig verzweifeln lässt, ist für die 56-jährige Essenerin Alltagsgeschäft. Sie ist gelernte Damenschneiderin und hat eine Ausbildung zur Mode- und Schnittdirectrice absolviert.
Männer sind die Ausnahme in den Kursen
Viele Jahre war sie sowohl freiberuflich als auch fest angestellt als Kostümdesignerin, Modedesignerin und Bekleidungstechnikerin tätig. Der Blick hinter die Kulissen von Modelabels hat sie aber auch bewogen, diese Art Job nicht mehr machen zu wollen. „Ich kenne die Ausbeutung, die in der Bekleidungsindustrie vonstatten geht. Daran möchte ich nicht mehr mitwirken.“ Seit rund zehn Jahren gibt sie deshalb ihre Kenntnisse in Kursen und Seminaren weiter.
Das „Nähkästchen“ ist ihr Markenzeichen, und so steht es auch am Klingelschild in der Kirchfeldstraße in Essen-Kettwig. In dem kleinen Raum sind fünf Arbeitsplätze – mehr, sagt Regine Henrichs, sollten es auch nicht sein. Denn sie möchte sich den Kursteilnehmerinnen – „in all den Jahren war leider nur einmal ein Mann dabei“ – eingehend widmen können.
Katja Schiefelbein kann das bestätigen. Sie kommt extra aus Mülheim in den Essener Süden. „In einem VHS-Kurs habe ich keine guten Erfahrungen gemacht. Es war einfach zu voll, so dass man bei Fragen lange warten musste und herumsaß.“ Regine Henrichs kümmert sich dagegen. Eilig flitzt sie um den Tisch, zeigt Katja Schiefelbein, wie sie das Schnittmuster vergrößert und schaut dann Jutta Rudel über die Schulter.
Trend zum Selbstnähen kam in den 1950er Jahren auf
Die näht gerade einen Loop, also Schlaufenschal. „Dazu nutze ich Stoffreste, die ich bei anderen Sachen nicht verwenden konnte“, berichtet die 59-Jährige. Sie hat 2004 angefangen zu nähen, zuerst für ihre Kinder, später für sich selbst. „Es ist ein tolles Gefühl, etwas selbst herzustellen“, sagt sie. „Man ist richtig stolz, was man geschafft hat – und sei es auch nur eine kleine Tasche“, bestätigt Katja Schiefelbein. Abgesehen davon seien sie im Kurs eine tolle Gemeinschaft – und das schon über Jahre.
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„Den Trend zum Selbstnähen gibt es ja schon sehr lange“, erklärt Regine Henrichs. In den 1950er Jahren kamen die ersten Frauenzeitschriften mit Schnittmustern auf, konnten Frauen die oft unerschwinglichen Modelle der Designer nachnähen. In den 90ern sei der Trend dann abgeebbt. Bis vor einigen Jahren Internetportale wie DaWanda das Nähen (und die Kurse) wieder boomen ließen. Aber auf eines legt Regine Henrichs dabei schon Wert: „Mal eben schnell geht bei mir nicht.“ Also fix die Naht aufgetrennt und noch mal ran an den Stoff!
Hier wird aus dem Nähkästchen geplaudert
Utensilien, die zum Nähen benötigt werden, sollten in einem extra Behältnis aufbewahrt werden – einem Nähkästchen oder Nähkorb. Hier eine kleine Liste, was dort alles an Basics hineingehört:
Stoffschere: Damit kann man problemlos Stoffe aller Arten schneiden. Mit einer normalen Küchen- oder Bastelschere ist das nicht möglich.
Maßband: Es kommt sowohl beim Nähen als auch beim Abmessen von Stoffen zum Einsatz.
Fingerhut: Den braucht man, um die Nadel durch einen dickeren Stoff zu schieben.
Sicherheitsnadeln: Sie sind oft der Retter in der Not.
Stecknadeln: Sie sorgen dafür, dass der Stoff stets genau- so bleibt, wie man ihn braucht und hinterlassen keine Spuren. Schnell verfügbar sind die Nadeln am besten auf einem Stecknadelkissen.
Schneiderkreide: Sie dient dazu, auf dem Stoff Umrisse zu markieren.
Nähnadeln: Es gibt sie in unterschiedlichen Stärken, Längen und für diverse Materialien. Es wird unterschieden in Nadeln für das Nähen per Hand und für die Nähmaschine.
Nadeleinfädler: Der ist ein kleines Helferlein, wenn der Faden mal nicht in die Nadel will.
Garne: In verschiedenen Farben lassen passen sie sich ideal an den Stoff an. Das Gesamtbild wirkt optisch einfach professioneller. Für Nähmaschinen gibt es wieder spezielles Garn.
Nahtauftrenner: Dieser kleine Helfer ermöglicht das problemlose Auftrennen von Nähten – bei selbst genähter Kleidung sowie ebenfalls bei den gekauften Produkten.
Wer viel näht, wird seinen Korbinhalt stetig erweitern. Dann sammeln sich allerlei Knöpfe und Stoffreste an – viel Spielmaterial für Experimente. Ein Tipp: Oft bieten Kaufhäuser Nähkörbe an, die mit einer Grundausstattung befüllt sind. Das kann sehr praktisch sein.
Etwas Verborgenes verraten
Die bekannte Redewendung „Aus dem Nähkästchen plaudern“ bedeutet im Übrigen etwas verraten oder jemandem etwas zugänglich machen, das ihm ansonsten verborgen bliebe. Einem Außenstehenden wird Einblick „in das Nähkästchen“ geboten. In Fontanes Gesellschaftsroman „Effi Briest“ wird dieser Ausdruck aufgegriffen und erhält seine literarische Ausprägung: In Effis Nähkasten wird ein Päckchen Briefe gefunden, das Effis über sechs Jahre zurückliegende außereheliche Beziehung mit einem Major enthüllt. Effis Mann tötet daraufhin den Major im Duell, verstößt seine Frau und verbietet ihr zudem den Umgang mit ihrer Tochter.