Essen-Werden. . Der jüdische Friedhof auf dem Pastoratsberg in Essen und die Geschichten der dort begrabenen Menschen üben nach wie vor große Faszination aus.
Hoch oben auf dem Pastoratsberg. Der jüdische Friedhof ist durch alle Stürme der Zeit, Verwüstungen und Grabschändungen hindurch der Nachwelt erhalten geblieben. Spannendes Zeitdokument und Mahnung zugleich. Die CDU Werden hat zu einer Führung eingeladen, Hanslothar Kranz grüßt am Treffpunkt neben der Jugendherberge mit einem friedlichen „Shalom“. Das Interesse ist mehr als beachtlich. Über 80 Teilnehmer sprengen eigentlich völlig den Rahmen dieser Führung. Die männlichen Besucher tragen eine Kopfbedeckung, aus Respekt und Ehrerbietung den Toten gegenüber.
Joseph Herz,Gründer der Jüdischen Gemeinde
Die Besichtigung des Friedhofs mitten im Wald wird durch fundierte Informationen komplettiert. Dafür steht Judaistin Martina Strehlen von der Alten Synagoge Essen bereit. Die Wissenschaftlerin ist ob des Andrangs zunächst ein wenig skeptisch: „Ob mich alle hören können? Wie lange hält meine Stimme?“ Das gar nicht so große Areal ist ein wild-romantischer Ort, verwitterte Grabsteine, hebräische und deutsche Inschriften. Herz oder Simon: Immer wieder tauchen bekannte Namen auf.
Die Geschichte jüdischen Lebens in Werden beginnt Anfang des 19. Jahrhunderts. Bis dahin hatten die Werdener Äbte als Landesherren die Ansiedlung von Juden auf ihrem Territorium verhindert. Arbeiten durften sie zwar in Werden, abends aber hatten die Juden das Gebiet der Reichsabtei wieder zu verlassen. Infolge der Säkularisierung wurde das Kloster 1802 aufgelöst, Werden fiel an Preußen.
Betsaal diente bis 1938 als Synagoge
Sechs Jahre später erhielt der Metzger und Viehhändler Joseph „Juspa“ Herz die Genehmigung, sich mit seiner Familie in Werden ansiedeln zu dürfen. Dem Gründer der Jüdischen Gemeinde ist seit kurzem eine Straße im Neubaugebiet „Grüne Harfe“ gewidmet. Die Gemeinde wuchs weiter, sehr groß aber ist sie nie geworden. Zu einer eigenen Schule, zu einem eigenen Rabbiner reichte es nie. Der Betsaal, der bis 1938 als Synagoge diente, war ein schlichter Raum im Erdgeschoss an der Marktstraße, der heutigen Heckstraße. Das Stück Land für den Friedhof kostete die Gemeinde zehn Taler. Die erste Bestattung fand 1831 statt, Lazarus Salomon war im Zuchthaus gestorben.
Rund 60 Steine sind heute noch nachzuweisen, doch es waren deutlich mehr, so Martina Strehlen: „Jeder Jude hat sein Recht auf immerwährende Totenruhe und einen Grabstein. Bei armen Menschen wurde der gespendet. Das waren dann oft Grabmale aus Holz.“
Ein jüdisches Grab wird nicht mit Blumen geschmückt, stattdessen legt man einen kleinen Stein darauf. Der älteste noch erhaltene Grabstein ist halb von Brombeeren überwuchert. Bella Simon Kahn, Ehefrau von Isaac Baruch, starb am 3. November 1845: „Ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens.“ Die Simons waren eine für Werden besonders bedeutende jüdische Familie, die am Klemensborn mit einem Textilhandel begann. Leopold Simon startete mit Wilhelm Döllken eine holzverarbeitende Firma, die weltweite Bedeutung erlangte. Die Simons waren gute Arbeitgeber, für ihre soziale Einstellung bekannt. Nach Else Simon wurde die Straße „Simon-aue“ benannt, und auf dem früheren Döllken-Gelände erinnert die Leopold-Simon-Straße heute an den Unternehmensgründer.
>>“HAUS DES EWIGEN LEBENS“
Der Friedhof ist terrassenförmig am Hang angelegt, ein breiter Weg teilt das Grundstück in zwei Felder. Beerdigt wurde weder nach Geschlecht noch chronologisch, sondern nach Familienzugehörigkeit. So ergeben sich im hinteren Teil des Friedhofs große Felder der Familien Simon und Herz. Es sind zudem noch kleinere Felder der Familien Kamp, Levi, Baruch und Mayer zu finden. Etwas unterhalb sind auch Bewohner des Hauses „Rosenau“ bestattet. Das wurde oberhalb des Friedhofs von dem Düsseldorfer Ehepaar Otto und Käthe Fleck einst als Erholungsheim gegründet – wegen der schönen Lage und der guten Luft, wie es heißt. Mit den Jahren wandelte es sich zu einem Kranken- und Altenheim.
Nach der Reichspogromnacht verjagten im November 1938 Geheime Staatspolizei und SS die Bewohner in drei „Judenhäuser“ in der Bungertstraße, von wo aus sie kurz vor Kriegsende in die Vernichtungslager deportiert wurden. Niemand überlebte. Die Totenruhe wurde auf dem im jüdischen Volksmund „Haus des ewigen Lebens“ genannten Friedhof mehrfach gestört. 1966 suchten ihn Jugendliche heim und warfen 20 Grabmale um. 1986 wurde der Friedhof in die Denkmalliste der Stadt eingetragen, 2002 aber erneut geschändet. 2007 wurden große Teile von Orkan Kyrill verwüstet, aber wieder hergerichtet.