Essen-Werden. . Auch an Silvester und Neujahr hält Ludger Schwarze sein „stilles Örtchen“ am Markt für Spaziergänger offen. Er erzählt, was er so alles erlebt.

„Für manche ist er ein Unikum“, erzählt ein Kenner der Werdener Szene. Jedenfalls mögen ihn die Einheimischen. Gerade jetzt mehr denn je, wo er ihren dringenden Bedürfnissen entgegenkommt und für deren Erleichterung sorgt. Nämlich dann, wenn sie – manchmal in leicht verklemmter Haltung – die Toilette aufsuchen müssen, gleich, ob sie vom Spaziergang kommen, der Messe in der Basilika beiwohnten, am Marktstand Obst, Gemüse und Fisch einkauften oder dem Schützenfest- und Kirmestrubel auf dem Parkplatz nebenan frönten. Denn „Lutti“ ist für alle da. „Auch an Weihnachtstagen, Silvester und Neujahr“, zählt Ludger Schwarze seine Öffnungszeiten auf.

Seit fünf Jahren ist Ludger Schwarze Toilettenmann

Das Werdener Urgestein gehört zu den sieben Jungen und zwei Mädchen der hiesigen Pohlbürger-Familie Schwarze. Von ihr sind Bruder Bernhard und die kirchenengagierte Veronika die Jüngsten. „Maria breit den Mantel aus, der Ludger kommt im Dauerlauf“, singt der bald 75-Jährige seinen leicht abgewandelten Klassiker öffentlich in geselliger Runde. Ob es jemanden nervt, stört ihn nicht im geringsten.

Im Zweifelsfall erhöht er sogar sein Stimm-Volumen, macht dazu eine unmissverständliche abwehrende Handbewegung im Stile von: Was soll es, es kümmert mich wenig. Übrigens ist es ein Kirchenlied, das auch in Eichstätt im Altmühltal bei den Elisabetherinnen in der Sonntags-Messe des Klosters aufgeschlagen und hörbar wird.

Seit fast fünf Jahren ist der stets fröhlich lächelnde gelernte Anstreicher und Maler, der zuletzt 20 Jahre beim Karstadt-Warenhaus täglich die Reinigung und abendlich die Schließung verantwortete, Toilettenmann. Engagiert vom Werdener Werbering und dem Bürger- und Heimatverein.

Sein Häuschen mit Damen- und Herren-WC steht am Marktplatz. Davor sitzt er bei Sonne, Wind und Regenwetter auf einem gepolsterten Plastikstuhl, beobachtet und füttert Meisen, Buchfinken, Eichhörnchen und Hunde.

Awo-Mitglied im 37. Jahr

Toilettenmann Ludger Schwarze (rechts) mit seinen Freunden Albert Lotz (links) und Klaus Hahn (Mitte).
Toilettenmann Ludger Schwarze (rechts) mit seinen Freunden Albert Lotz (links) und Klaus Hahn (Mitte). © Knut Vahlensieck

Und empfängt regen Besuch in seiner Nussschale. Auf engstem Raum sind hier drei Stühle, ein Gartentisch, Schrubber, Besen, eine Kaffeemaschine, Kabel, Papierhandtücher und verschiedene Erfrischungsgetränke untergebracht.

Zu den ständigen Gästen gehören Klaus Hahn und Albert Lotz, die die WC-Sauberkeit berechtigt loben, sowie die 78-jährige Waltraud: Als er die Huttroperin kommen sieht, begrüßt er, Mitglied der Arbeiterwohlfahrt im 37. Jahr, seine Genossin mit den gut gemeinten Worten: „Der Austausch hier und die Gespräche sind international.“ Manchmal nimmt es der Brandstor-Junge mit der Sprache nicht so genau. Aber auch das geht irgendwie an seiner Wahrnehmung bewusst vorbei. „Besonders freue ich mich auch über das Kommen einer in Südafrika gebürtigen Krankenschwester, die mich einst betreute und mir dreimal in der Woche Waffeln bringt.“

Kunden reichen „Lutti“ auch mal Köstlichkeiten

„Ich könnte fast eine Lebensgeschichte schreiben“, erzählt der schnauzbärtige Rollator-Fahrer, der nur über mehrere Stufen in seine Wohnung gelangt, wo er im vierten Jahrzehnt Werdener Luft atmet. „Manchmal ziehe ich den Toilettengängern sogar die Hosen hoch“, sagt er schmunzelnd.

Wie steht’s um die Zahlungsmoral, bei einem „absoluten Hochpreis“ von 50 Cent pro Nutzung? Nicht zu glauben, aber durchaus keine Seltenheit, diese Begebenheit: Ein junger Mann, gut gekleidet, verlässt die Toilette, bekundet beim Weggang selbstherrlich, nicht bezahlen zu können, „meine Frau hat das Geld“. Minuten später kauft er nebenan zusammen mit der Dame Spezialitäten beim Franzosen ein. Den Stuhlgang hatte er, der den Blick zu Ludger Schwarze sorgfältig vermied, vermeintlich längst vergessen.

„Die Marktleute legen meist mehr Geld ins Körbchen“, betont der stimmgewaltige Saubermann, der sorgfältig und penibel auf Reinlichkeit achtet. Seine Haupt-Kunden danken es ihm am Marktschluss mit kleinen Gaben, reichen ihm Wurst, Käse, Brot und andere Köstlichkeiten fürs Wochenende.

Ludger Schwarze „möchte 91 Jahre alt werden“

Es ist Samstagnachmittag gegen Vier, Feierabend. Neviges-Verehrer Ludger Schwarze fegt noch einmal durch und kurvt dann mit seinem Gefährt in Richtung Domstuben.

Sein Wunsch für 2017? „Ich möchte 91 Jahre alt werden, wie mein Vater.“ Deshalb – und weil er ein immer gut gelaunter Anlaufpunkt ist - bedrängen ihn seine Freunde, noch fünf Jahre dranzuhängen, und kündigten jetzt schon eine kleine Prozession zu seinem Häuschen an.