Ein 22-Jähriger, der an einem Gelsenkirchener Berufskolleg einen Amoklauf angedroht hatte, steht vor dem Essener Landgericht. Er ist psychisch krank, ein Mobbingopfer.
Harmlos sieht er aus und sehr jung. Das weiche, noch unfertige Gesicht will kaum passen zu den 22 Lebensjahren des Gelsenkircheners. Und hätte man nicht die Bilder der Amokläufer an Schulen im Kopf, die oft ähnlich wirkten, passte es auch nicht zu dem, was die Staatsanwaltschaft ihm am Freitag vor dem Landgericht Essen unterstellt. Mit Mord soll er Mitschülern und Lehrern in dem Gelsenkirchener Berufskolleg gedroht und einen „Rundumschlag” angekündigt haben: „Ihr sollt alle brennen! Ich schlachte euch ab!”
Jetzt sitzt er vor Gericht. Die XVII. Strafkammer soll entscheiden, ob der Schüler für die Allgemeinheit gefährlich ist und zeitlich unbegrenzt in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen werden muss. Als die Drohungen überhand nahmen, seine selbstgeschriebenen Rap-Texte brutaler wurden und die Angst unter Schülern, Eltern und Lehrern wuchs, da reagierte der Staat.
Nach Erfurt will niemand ein Risiko eingehen
Im September 2008 kam er vorläufig in die Psychiatrie. Die Durchsuchung seiner Zwei-Zimmer-Wohnung hatte zwar kaum einen Hinweis geliefert, dass er seine Drohungen wahrmachen könnte. Aber wer wollte nach Erfurt und Emsdetten ein Risiko auf sich nehmen? Winnenden mit seinen 16 Toten stand erst noch bevor.
Es ist die Geschichte eines Gehänselten, eines Kranken, der sich mit Drohungen stark zeigen wollte. Am 1. August war der gebürtige Kölner an das Berufskolleg gekommen. Psychisch krank war er seit mindestens einem Jahr, was dort wohl niemand wusste. Paranoide Schizophrenie, Zerrüttung des Persönlichkeitsgefüges, Verlust des Realitätsbezuges – Fachleute wissen die Krankheit zu erkennen und zu benennen.
Klassenclown
An der Schule fiel er als Klassenclown auf. „Auf dem Schulhof, wo die Jungen meist stehen, sang er seine selbstgeschriebenen Songs”, erzählt eine Mitschülerin. „Die feuerten ihn an, um ihn lächerlich zu machen.” Sie kennt ihn von früher, aus seiner gesunden Zeit: „Da war er normal.” Als Baby hatte seine Mutter ihn zwar abgegeben, er wuchs bei seinen Großeltern in Gelsenkirchen auf. Doch eigentlich entwickelte er sich zielstrebig. Als die Großeltern starben, muss ihn das wohl aus der Bahn geworfen haben. Die Schule brach er in der Zeit ab, auch eine Ausbildung. Zur Mutter gibt es keinen Kontakt.
Mobbingopfer
Am Berufskolleg nahm er einen neuen Anlauf. Die Hänseleien nahmen zu. Der Klassenclown, der in der Schulstunde schon mal unmotiviert lachte oder den Raum verließ, geriet immer mehr zum Mobbingopfer. Ein Polizist erinnert sich an die Ermittlungen: „Die Jungens hänselten ihn, foppten ihn wegen seines Singens.” Trauriger Höhepunkt: Am 27. August wählten sie ihn zum Klassensprecher. „Es sollte ein Spaß sein”, sagt eine Mitschülerin. Seine Texte wurden härter: „Ich hasse euch alle! Ich bringe euch alle nacheinander um! Ich töte dich und dich. . . ich bin der Killer!”
Tränen der Mitschülerin
Die Mitschülerin, die ihn von früher kannte, schaffte es, mit ihm normal zu reden: „Dann war er freundlich und ruhig, man musste nur wissen, wie man ihn ansprach.” Der beisitzende Richter Simon Assenmacher bedankt sich am Schluss bei ihr: „Finde ich gut, wie Sie das gemacht haben.” Die Zeugin weint: „Ich habe ja auch Angst gehabt, dass ihm etwas passiert.”