Essen. Die Rentnerin ist noch heute empört, der Angeklagte Marcello W. (34) immerhin geständig. 600.000 Euro hat er mit seinen Komplizen einem Ehepaar aus Steele aus dem Tresor gestohlen. Das Geld bleibt zum Großteil verschwunden: „Ich habe alles verspielt. Und Kokain davon gekauft.“

Im Rollstuhl wird die 84 Jahre alte Seniorin von einer Pflegerin in den Saal gerollt. Ihr Mann, 88 Jahre alt, fehlt. Ein Attest weist aus, dass er nach einem Schlaganfall Gedächtnisschwäche hat. Der XVII. Strafkammer reicht das nicht aus, am Freitag wird der Rentner kommen müssen.

Überrumpelt wurde das Paar durch einen alten Trick, den reisende Straftäter gerne anwenden. Das Vorstrafenregister des 34-jährigen Osnabrückers zeigt, dass er schon längere Zeit mit dieser Profession Geld verdient. Eine klassische Betrugsmasche: Vornehmlich bei älteren Menschen schellen sie an und versprechen, für 20 Euro die Dachrinne des Hauses von Blättern zu befreien. Nach dieser Arbeit weisen sie auf Schimmelflecken durch undichte Stellen am Dach hin. Diese könnten sie beseitigen, benötigten dafür aber eine Anzahlung. Mit diesem Geld sind sie dann über alle Berge.

Da war es angesichts der späteren Beute eher ein Glückstreffer, als insgesamt fünf Osnabrücker am 9. August vergangenen Jahres um 13 Uhr in Steele die Anzahlung verlangten. Der Hausherr ging ins Obergeschoss, holte 4000 Euro aus dem Tresor und übergab sie in der Küche laut Anklage an Renaldo D. (30). Der stellte eine Quittung aus und gab schon mal eine Garantie über 15 Jahre ab. Danach verschwand die Truppe. Der Hausherr schaute noch einmal nach dem Tresor, fand seinen Schlüssel nicht mehr und rief nach seiner Ehefrau. Mit dem Ersatzschlüssel öffneten sie den Geldschrank. „Ist schon passiert“, erkannte der Hausherr, „alles ist weg“.

Marcello W. erklärt die Tat als reinen Zufallsfund. Er habe die etwas größere Kulturtasche im offenen Tresor gesehen und mitgenommen. We­gen der heraus quellenden 500er habe sie sich nicht schließen lassen. erst in Osnabrück hätten sie gezählt, „wie viel Geld das überhaupt war“. Ge­recht hätten sie dann ge­teilt, 125 000 Euro für jeden.

12 000 Euro hat das Paar mittlerweile zurück, es kommt von den mutmaßlichen Komplizen, die demnächst ihren Prozess haben werden. Enttarnt wurden sie von einem Bekannten, der bei der Polizei um Vertraulichkeit bat. Anschließend hörte die Polizei Telefonate ab und wertete Beweismittel aus. Marcello W. wurde etwa zum Verhängnis, dass sich seine DNA an einem Handtuch am Tatort fand.

Legal gearbeitet hat er nie, einen Schulabschluss wohl auch nicht. „Ich kann auch nicht so gut schreiben“, erklärt er. Früh kam er wegen der alkoholkranken Mutter mit seinen Geschwistern in ein Heim. Er haute ab, flüchtete zu seinem Vater, der in einem Wohnanhänger lebte. Früh begann er mit Straftaten, zwölf Einträge zählt sein Register. Meist sind es kleinere Strafen.

Trotz des Geständnisses seines Mandanten versucht Verteidiger Meggers, Feinheiten bei der Tat herauszuarbeiten. Ob der Tresor denn abgeschlossen gewesen sei, will er von der 84-Jährigen wissen. Die Frau lässt sich gar nicht darauf ein: „Was hat er in meinem Wohnzimmer zu suchen?“, entgegnet sie resolut. Dann will der Anwalt nicht glauben, dass die rund 600.000 Euro überhaupt in die Kulturtasche passten. „So ist es aber“, sagt die Zeugin, „auf einen Hunderter kommt es mir auch nicht an. Auf jeden Fall hat er uns bestohlen“.

Wie das Geld zusammen gekommen sei, will Richter Bernd Koß wissen. „Wir haben die Rente immer vom Girokonto abgeholt und in den Tresor gelegt. Davon haben wir dann gelebt.“ Es sei also im Laufe der Jahre mehr und nicht weniger geworden, schlussfolgert der Richter. Ja, so war es, bestätigt die 84-Jährige dem Rentner.