Das Landgericht Essen hat einen Boutique-Besitzer aus Kirchhellen aus der U-Haft entlassen. Der 59-Jährige soll in seinem Geschäft in Gelsenkirchen junge Praktikantinnen gegen kleine Geschenke zum Sex veranlasst haben.

Eine Art Sex-Monster stellt man sich bei der Anklage von Staatsanwältin Katrin Otte vor: Von einem Besitzer von Boutiquen in Buer und Erle spricht sie, der gemeinsam mit seinem Mitangeklagten junge Mädchen als Praktikantinnen anwarb und mit kleinen Geschenken in seine Sex-Falle lockte. Und dann sitzt da ein körperlich kleiner Mann in der Anklagebank. Ein Sanitäter hat ihn in den Saal gebracht, misst seinen Blutdruck. Denn der 59 Jahre alte Angeklagte hat in der U-Haft einen Herzinfarkt erlitten. Ein augenscheinlich gebrochener Mann.

Haftbefehl außer Vollzug

Erst am Ende des Verhandlungstages am Montag lebt er wieder auf. Die V. Essener Strafkammer setzt den Haftbefehl gegen den Bottroper und seinen 60 Jahre alten Mitangeklagten aus Erle außer Vollzug. Angesichts der Krankheiten beider sieht sie keine Fluchtgefahr. Über Asthma, Prostata und Herz hatte der Mitangeklagte geklagt, den die Staatsanwältin als Zuhälter beschreibt.

Vorwürfe nicht eindeutig bestätigt

Was sie strafrechtlich zu verantworten haben, ist fraglich. Offenbar hat eine am Montag nicht öffentlich vernommene 16-Jährige die Vorwürfe der Anklage nicht eindeutig bestätigt. Auch eine 17 Jahre alte Zeugin, die in der Boutique als Praktikantin gearbeitet hatte, weiß von sexuellen Handlungen in den Geschäftsräumen nicht viel.

Mit Schülerpraktikantinnen gearbeitet

Vor zehn Jahren hatte der Angeklagte an der Domplatte in Buer mit der Boutique „Estelle” begonnen, später zog er um, machte an der Cranger Straße in Erle das „Elaine” auf. Dort bot er erotische Kleidung und Sexartikel an. Aus Kostengründen, so sagt er, arbeitete er mit Schülerpraktikantinnen. Offen warb er dafür mit Inseraten, verschwieg dabei den Sex-Charakter: „Estelle-Mode-Dessous-Accessoires-Schuhe ua. ist eine Boutique und Treff nur für Girls. Bei Bedarf auch Wohnmöglichkeit.” Der 1949 in Gladbeck geborene Mann will Prakikantinnen auch über Lehrerinnen vermittelt bekommen haben, die bei ihm einkauften.

Erotik-Öl

Großen Zulauf hatte er. Er selbst nennt 100 Mädchen, die er in zehn Jahren beschäftigte. Laut Anklage durften sie bei ihm Sexartikel ausprobieren und erotische Kleidung anziehen. Manches verschenkte er auch an die Mädchen. Konkret wirft die Anklage ihm neun Fälle vor. Mal soll er eine 15-Jährige mit Erotik-Öl massiert haben, bevor er mit ihr Sex hatte. Auch an Kunden soll er das Mädchen vermittelt haben. Für 40 Euro habe es Sex im Geschäft oder in der Umkleidekabine gegeben.

Auf den Strich geschickt

Sein Mitangeklagter soll im Rotlichtmilieu tätig sein. Ganz fremd ist es ihm wohl nicht: Angeblich hat er einen Wohnwagen für Prostituierte aus Polen. Er soll dem Boutique-Besitzer beim Renovieren des Geschäftes geholfen, aber auch sexuell von den Mädchen profitiert haben. Einer 20-Jährigen bot er laut Anklage 2007 an, für ihn auf den Strich zu gehen: Zuerst in Herten im Club „Lafayette”, später in Haltern auf einem Parkplatz in der Nähe der Autobahn.

Geburtsjahr gefälscht

Der 60-Jährige schweigt zu den Vorwürfen. Der 59 Jahre alte Boutique-Besitzer weist sie zurück. Bis auf einen Fall. Da habe er ein Mädchen mit dem Öl massiert. Sie habe mehr gewollt und sich ausgezogen. Dann sei es passiert. Sie habe sich als „nymphoman” bezeichnet und einen Ausweis gezeigt. Danach sei sie 16 gewesen. Später räumt das Mädchen als Zeugin ein, dass sie das Geburtsjahr im Schülerausweis gefälscht habe.

Schöne Polizistin

Als die Eltern der 15-Jährigen Anzeige erstatteten, schickte die Polizei eine junge Kollegin als verdeckte Ermittlerin ins „Elaine”. Eine Praktikantin der Boutique erinnert sich an die Beamtin: „Wir sagten gleich, die ist voll hübsch.” Gegenüber dem Besitzer soll die Polizistin von finanziellen Problemen gesprochen haben. Prompt soll er ihr angeboten haben, erotische Bilder von ihr zu machen. Der Prozess wird fortgesetzt.

Mehr zum Thema:

Missbrauch in Sex-Boutique