Essen- Frohnhausen. . Als die Mülheimer Straße Anfang des 20. Jahrhunderts geplant wurde, sollte sie Wohnraum für Arbeiter schaffen. Modern – und mit mehr Sonnenlicht.
„Genau hier schlug einst das Herz der Verwaltung Altendorfs“, sagt Robert Welzel. Das prachtvolle alte Rathaus, gebaut 1875/76, stand früher in direkter Nähe des Lighthouses, der früheren St. Mariä-Geburt-Kirche. „Die Bürgermeistervilla war gegenüber im heutigen Riehlpark“, erzählt der 48-Jährige. Welzel ist Hobbyhistoriker und aufgewachsen in Frohnhausen, wo er auch heute noch wohnt.
Ein paar Meter vom Altendorfplatz entfernt steht ein roter Flachbau, heute ein Kiosk. Dort beginnt die Mülheimer Straße. Etwa 1,3 Kilometer ist sie lang, wurde nach der Eingemeindung zu Essen im Jahr 1901 angelegt und verläuft von Nordosten nach Südwesten. „Eine Besonderheit“, erzählt Welzel. Die anderen Straßen verlaufen von Ost nach West oder Nord nach Süd. Die „Mülheimer“ aber schneidet sich diagonal durch den Stadtteil.
Essens Oberbürgermeister Erich Zweigert hatte Robert Schmidt beauftragt, für Essen-West einen Bebauungsplan zu entwerfen. Es fehlte an Wohnungen für die wachsende Zahl von Krupp-Arbeitern. „Robert Schmidt schaute sich die bestehenden Häuser an und stellte fest, dass die oft kein ausreichendes Sonnenlicht hatten. Das wollte er ändern“, sagt Robert Welzel. So entstand die Mülheimer Straße, eine wichtige Verkehrsstraße mit Straßenbahnanschluss als Verbindung zum neuen Südwest-Friedhof in Fulerum.
Dort, wo die „Mülheimer“ heute verläuft, prägten zuvor Kotten und Felder das Bild. Die Stadt kaufte den Bauern die Felder ab und parzellierte sie. 1904 wurde der Bebauungsplan aufgestellt, ab 1906 dann auch gebaut.
Die Mülheimer Straße
Die Stadt hatte stets ein Auge darauf. „Die Grundstücke waren preisgünstig, dafür gab’s aber Vorgaben“, erklärt Robert Welzel. Da die Zeit drängte, musste ein Jahr nach dem Grundstückskauf mit dem Bau begonnen werden. Ein weiteres Jahr blieb bis zur Fertigstellung. Gebaut wurden moderne Häuser, meist dreieinhalb Etagen plus Mansarde. Mit großen Fenstern, Küchen mit Balkon und Toiletten in der Wohnung. Die Innenhöfe wurden begrünt. Entsprechend der Epoche, dem ausgehenden Jugendstil, findet man den typischen Stuck an den Häuserfassaden. Allmählich wird der Stil dann sachlicher.
Bergbau an der Mülheimer Straße? Ja, aber die Spuren sind verwischt. Dort, wo die Lüneburger Straße abgeht, die alte Dorfstraße, wurde im Mittelalter in Stollen Kohle abgebaut. „Es war die erste professionell betriebene Zeche des Ruhrgebiets, die urkundlich nachweisbar ist“, sagt Robert Welzel. Am 8. Dezember 1450 hatten drei Brüder aus Holsterhausen den „Kohlberg“ gepachtet. Lange Zeit wies der Name „Schwarzer Diamant“ (heute „Jetzt und Hier“), die Gaststätte in dem 1913 gebauten Eckhaus, namentlich auf die Bergbau-Vergangenheit hin. Das Haus mit der schlichten Fassade und dem kraftvollen Erker ist ein echter Hingucker aus der Anfangszeit der Mülheimer Straße.
Auf der anderen Straßenseite liegt der Frohnhauser Marktplatz, ein eingelöstes Versprechen der Stadt Essen für die Eingemeindung Frohnhausens. In vorindustrieller Zeit, so Welzel, sei dort bis zum sich anschließenden Westpark ein Steinbruch gewesen. Am nördlichen Rand des Marktes reihen sich imposante Häuser aus dem Jahre 1911 wie Perlen auf einer Kette. Die Nummern 2, 3 und 4 stehen unter Denkmalschutz. „Der Platz sollte dem Marktbetrieb und der Erholung dienen.“
In die Erdgeschosse der Häuser an der „Mülheimer“ zogen meist Einzelhändler und Handwerker ein. Bäcker, Metzger, Milchbauer, Schuster, Friseur, Blumenhändler, Haushaltswarenhändler. „Die Mülheimer Straße war neben der Kölner und der Frohnhauser Straße die wichtigste Einkaufsstraße für die Nahversorgung“, sagt Robert Welzel. Heute wechseln die Inhaber öfter. Discounter und Einkaufszentrum sind zur Konkurrenz geworden. Institutionen wie das bekannte Eiscafé Casal, seit 1950 am Ort, sind da die echte Ausnahme.
Apostelkirche ist ein Schmuckstück
Ein Schmuckstück an der Mülheimer Straße ist die Apostelkirche (gebaut 1912-13) mit ihrem offenen Kirchplatz und dem Grün. Experten sehen sofort die architektonischen Parallelen zum Campanile in Venedig. Der Turm ist eine Landmarke, wenn auch früher mehr als heute. Das Ziffernblatt der Turmuhr mit 3,45 Metern Durchmesser, das damals größte in Essen, war weithin sichtbar. Die meisten Menschen hatten noch keine Taschenuhr und lasen die Zeit an der Turmuhr ab.
Die Mülheimer Straße, die von schweren Kriegsschäden weitgehend verschont blieb, hält allerdings nicht, was der Name verspricht. Sie führt gar nicht nach Mülheim. Nach der Eingemeindung mussten einige Straßen umbenannt werden, weil es sonst in Essen zu Dopplungen gekommen wäre.
Für Frohnhausen entschied man sich unter anderem für Städtenamen. Dass es Mülheim wurde – wohl nur ein Zufall.
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