Essen. Die „Rostige Speiche“ stempelte Essen 1991 als „fahrradunfreundlichste Stadt“ im Land ab. Das war ein heilsamer Schock. Denn heute durchzieht ein enges Radwegenetz die Stadt. Alte Bahntrassen sind ideal für Alltagsradler, die vom Auto umsteigen wollen

Die Kassen der Ruhrmetropole sind notorisch leer, aber Essen bleibt ehrgeizig. Und strampelt sich tapfer ab, um dem Gütesiegel „Fahrradfreundliche Stadt“ gerecht zu werden. Nach dem heilsamen „Rostige Speiche“-Schock 1991 ist ein spürbarer Ruck durch die Stadt gegangen.

Radfahrer freuen sich über ein Netz an ausgeschilderten Radwegen, das in den letzten Jahren zusehends engmaschiger geworden ist. Nach Angaben von Grün und Gruga durchziehen inzwischen 300 Kilometer gekennzeichnete Radwege die Stadt – vom Bordsteinradweg über Fahrradstraßen bis hin zu breiten und modernen Radschnellwegen wie die „Rheinische Bahn“.

Zwei verheißungsvolle Trends stimmen optimistisch. Erstens: Seit dem erfolgreichen Kulturhauptstadt-Jahr 2010 wollen Touristen aus ganz Deutschland die Ruhrmetropole und ihre einzigartigen Industriedenkmäler immer häufiger auf zwei Rädern entdecken. Zweitens: Immer mehr Essener sind bereit, das Gaspedal mit der Radpedale zu tauschen – im Winter wie im Sommer. Über alte Bahntrassen – 58 Kilometer sind schon mit dem Rad befahrbar – können die Uni und der Arbeitsplatz sicher und obendrein CO2-frei erreicht werden. Der vom Regionalverband Ruhr geplante Radschnellweg RS1 zwischen Duisburg und Dortmund via Essen zählt zu den ehrgeizigsten Strukturwandel-Projekten der Region. Das fertige Teilstück der Rheinischen Bahn in Essen bietet Alltagsradlern bereits einen Vorgeschmack auf eine mobile Zukunft ohne Benzin.

StadtgrünUnsere große Karte zum Ausschneiden zeigt anschaulich die wichtigsten Rad-Achsen der Stadt und einige der interessantesten Themenrouten - von der beliebten Wasser- bis zur urigen Zechen-Route. Vor allem möchte sie Lust machen aufs Radfahren in der Stadt. Unser Tipp: Autofahrer sollten das Radwegenetz in Essen einfach mal ausprobieren. Sie werden positiv überrascht sein und feststellen, dass das Angebot an schnellen wie auch landschaftlich reizvollen Radwegen in dieser Stadt weitaus besser ist als sein Ruf.

Essen hat jetzt eine Fahrrad-App 

Darauf haben Radtourenplaner und Imagewerber lange gewartet. Wer die Sehenswürdigkeiten und den Charme der Ruhrmetropole mit dem Fahrrad erkunden will, kann dies jetzt mit der neuen Fahrrad-App „Essen erfahren“ tun. Sie kann kostenlos im Google Play Store heruntergeladen werden. Die IOS-Version für Apple steht in Kürze zur Verfügung.

„Die App ist ein Gewinn für Menschen in Essen, aber auch für Touristen, die unsere Stadt entdecken wollen“, sagt Baudezernentin Simone Raskob. Die steigende Zahl an Anfragen aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland bei Grün & Gruga seit dem Kulturhauptstadt-Jahr zeigt: Das Interesse an Essen und seiner Industriekultur nimmt zu – und immer mehr Städtetouristen wollen Essen per Fahrrad erkunden.

Herausgegeben hat die neue App „Essen.Neue Wege zum Wasser“, ein Beschäftigungsprojekt des Essener Konsens. Eine Initiative, die schon neue Radwege angelegt und andere instandgesetzt hat.

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Die App ist kinderleicht zu bedienen und besticht durch die praktische Navigation mit den vier Menüpunkten „Orte“, „Routen“, „News“ und „Infos“. In mühevoller Kleinarbeit hat Jörg Warnsing gut 1100 „points of interest“ (POI) eingepflegt – von der Bushaltestelle bis zum Industriedenkmal, vom Krankenhaus bis zur Kathedrale, vom Markt bis zum Museum. Vertieft werden Informationen über Sehenswürdigkeiten mit erklärenden Texten, Bildern und geografischen Angaben.

Grundlage der Fahrrad-App sind die 14 kostenlos erhältlichen Fahrradkarten mit unterschiedlichsten Thementouren (z. B. Biergärten, Zechen, Wasser, Natur). Der Nutzer erfährt per Smartphone jedes Detail wie zum Beispiel Länge der Tour, Höhenmeter, Zeitbedarf und Qualität. Sehr hilfreich ist das Bewertungsschema. Für die Route West etwa vergibt die App in punkto Familienfreundlichkeit den Höchstwert von fünf Punkten.

Radrouten-Planer von Grun und Gruga im Interview 

Hermann-Josef Steins ( „Grün und Gruga“) ist zuständig für die Radrouten-Planung. Sein Ziel: Essen fahrradfreundlicher machen. Gerd Niewerth sprach mit ihm.

Herr Steins, warum sollten Autofahrer aufs Fahrrad umsteigen?

Viele quälen sich im Auto durch den Berufsverkehr. Mit dem Fahrrad dagegen wären sie oft schneller am Ziel – besonders auf Strecken unter zehn Kilometern. Dass das Radfahren gut für die Gesundheit ist, sei nebenbei bemerkt. Immer mehr fahren ja das ganze Jahr. Ich ziehe bei Frost Handschuhe an und setze eine Mütze auf.

Können Sie beispielhaft eine attraktive Alternativ-Route nennen?

Ich habe Kollegen, die von Kupferdreh, Überruhr und Burgaltendorf täglich mit dem Rad zur Arbeit kommen. Im Auto müssten sie über die Ruhrallee, aber die ja ständig dicht. Die Grugatrasse ist ideal für Alltagsradler.

Warum sind die alten Bahntrassen in Essen so wertvoll?

Weil sie inzwischen eine Gesamtlänge von 58 Kilometern haben und mehrere Stadtteile verbinden. Das ist ein Pfund, das nur wenige Städte zu bieten haben. Wir nutzen die alte Infrastruktur der Güter- und Zechenbahnen für Radler und profitieren von kreuzungsfreien Routen, Brücken und Tunneln.

Nimmt die Zahl der Radfahrer zu?

Definitiv! Sie hat sogar erheblich zugenommen. In Essen treffen sie auf ein attraktives Angebot an Radwegen und -routen. Das erklärt auch, dass in Essen in den letzten Jahren so viel neue Radgeschäfte eröffnet wurden.

Ist Essen fahrradfreundlich?

Auf jeden Fall. Wir müssen aber noch daran arbeiten, das Radfahren in Straßen sicherer zu machen. Sehr gut sehen wir mit unseren 180 km Radwegen im Grünen aus, die besonders familienfreundlich sind. Leider ist das bisher Erreichte noch nicht bei allen angekommen. Ideal wäre daher eine breite Werbekampagne, damit die Menschen aufs Rad umsteigen.