Essen. Ursula Genschow hat die berühmten Aldi-Gründer Karl und Theo ab 1949 noch als kleine Kaufleute in Schonnebeck erlebt. Schon damals legten sie Wert auf guten Kundenumgang - und blütenweiße Kittel.
Diese Szene in ihrem Leben wird Ursula Genschow nicht vergessen. Herbst 1948. Nachkriegszeit in Deutschland, Wiederaufbau in Essen. Die 15-jährige Ursula geht in Schonnebeck zur Schule, steht vor dem Abschluss, sucht eine Ausbildungsplatz. Eines abends sieht sie an einer Holztür ein kleines Schild, das ihre Neugier weckt: „Lehrmädchen gesucht“, steht da geschrieben. Sie klingelt, tritt, nachdem die Tür geöffnet wird, ins Büro ein. „Da saßen sie. Rechts der große Theo Albrecht. Links der kleinere Karl Albrecht. Und ihre Mutter, Frau Anna Albrecht“, erinnert sich Ursula Genschow an den Moment, der ihr Leben verändern sollte. Wenige Monate später war sie das gesuchte Lehrmädchen bei „Aldi“. Der Beginn eines besonderen Bandes, das seit über 65 Jahren hält...
Ursula Genschow hat sich in diesen Tagen an die besondere Begegnung mit den damals drei Albrechts im Büro ihres ersten Lebensmittelmarktes erinnert. Unsere Zeitung hatte von den Plänen eines Aldi-Films berichtet, in dem auch Zeitzeugen zu Wort kommen sollen. „Da dachte ich, ich melde mich“, erklärt die Schonnebeckerin. „Ein bisschen was kann ich ja erzählen.“
Es hat "so klein angefangen"
„Ein bisschen was“ ist untertrieben. Beim Termin im Wohnzimmer der 80 Jahre alten Dame hat diese nicht nur Kaffee (natürlich von Aldi) vorbereitet. Sie hat über Jahrzehnte Aldi-Artikel aus Zeitungen und Zeitschriften gesammelt. „Hier, in diesem Spiegel von 2010, ist ein Foto von mir.“ Die ehemalige Aldi-Mitarbeiterin hat die Todesanzeigen der gestorbenen Konzerngründer aufbewahrt. Und ihren Lehrvertrag griffbereit. Der Monatslohn? „29 Mark im ersten Jahr, 40 Mark im zweiten Jahr, 52 Mark im dritten Jahr.“
Wenn Ursula Genschow erzählt, öffnet sich ein Fenster ins Essen der Nachkriegszeit, in die deutsche Wirtschaftsgeschichte. Es zeigt Geburtsmomente eines Handelskonzerns, der heute weltweit Milliardenumsätze macht. „Dabei hat es so klein angefangen“, sagt Ursula Genschow. Und schmunzelt.
Die heutige Oma von acht Enkeln war damals jüngstes Lehrmädchen bei den Albrechts und arbeitete sechs Tage die Woche im legendären Geschäft Nummer 1 an der Huestraße in Schonnebeck – der Keimzelle des Konzerns. Das war auf den ersten Blick ein Tante-Emma-Laden, wie es zu dieser Zeit schon viele gab. „Keine Selbstbedienung. Sondern eine lange Theke. Wir haben alles abgewogen, abgepackt und abgefüllt: Obst, Gemüse, Mehl. Und Rübenkraut ins Glas. Klebrige Sache“, erinnert sich Ursula Genschow. „Jeder Artikel wurde notiert und dann habe ich gerechnet.“ Das war immer dann besonders anstrengend, wenn die Bergleute auf der Zeche ihren Lohn bekommen hatten und dann groß einkauften.
Seit 1954 Selbstbedienung
Bei den Albrechts galten allerdings Sonderregeln. „Wir haben immer blütenweiße Kittel getragen. Die mussten sauber sein.“ Bei einem Griff in eines der Heringsfässer gab es schnell Flecken. „Wechseln, hieß es dann.“ Außerdem wurde jeden Abend gründlich geputzt. Die Albrecht-Brüder waren präsent, erinnert sich Ursula Genschow. „Karl hat unseren Umgang mit Kunden beobachtet. Theo war fürs Geld zuständig und hat abends die Einnahmen in den Filialen abgeholt. „Im Umgang“, erinnert sie sich, „waren die Brüder normal und angenehm.“
Drei Jahre lang war sie Lehrmädchen, erhielt im „sehr guten“ Abschlusszeugnis die Beurteilung „ehrlich, fleißig, pünktlich“. Ursula Genschow wurde Filialleiterin, und erhielt „schon damals eine Umsatzbeteiligung“. Als sie die Albrechts 1955 verließ und Mutter wurde, nahm das Unternehmen gerade Fahrt auf. „1954, im ,Wunder-von-Bern-Jahr’, haben wir auf Selbstbedienung umgestellt. Und überall entstanden neue Läden.“ Albrecht-Lebensmittel aus Schonnebeck wurde zum Aldi-Konzern. „Und ich bin bis heute als zufriedene Kundin treu geblieben“, sagt Ursula Genschow.