Essen. . Wegen eines Zungenkusses verurteilte das Amtsgericht einen 36-Jährigen zu sechs Monaten Haft mit Bewährung. Er hatte den Kuss seiner 14 Jahre alten Stieftochter aufgedrängt, so dass ihn das Gericht des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen schuldig sah.

Sechs Monate Haft mit Bewährung für einen Zungenkuss. Das ist das Urteil des Essener Amtsgerichtes für einen 36-Jährigen aus Altenessen, der seine 14 Jahre alte Stieftochter sexuell bedrängt hatte. Ein Prozess, der auch den tiefen Konflikt zwischen einer Mutter und ihren Töchtern offenbarte.

Die 45 Jahre alte Supermarkt-Kassiererin hatte sich voll hinter ihren Ehemann gestellt und zwei ihrer Töchter als Lügnerinnen eingestuft. Dabei war sie es, die nach Ansicht des Schöffengerichtes gelogen hatte. Richter Ertan Güven: „Sie ist in ganz vielen Punkten unglaubwürdig.“

Zuerst die Wange gestreichelt

Seit 2006 ist sie mit dem Angeklagten verheiratet. Ihre erste Ehe, aus der sie fünf Kinder hat, war Jahre davor gescheitert. Mit dem neuen Mann kamen die Kinder von Anfang an nicht zurecht. Nach und nach zogen sie zum leiblichen Vater. Die 14-Jährige kehrte aber oft zur Mutter zurück, zuletzt im Frühjahr 2012. In dieser Zeit soll der Angeklagte sie plötzlich bedrängt haben. Laut Urteil streichelte er zuerst ihre Wange, erzwang den Zungenkuss, gegen den sie sich mit zusammengepressten Zähnen vergeblich gewehrt hatte.

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Einen Tag später vertraute sie sich ihrer Mutter an. Diese versprach, „das zu regeln“. Doch tatsächlich stellte sie sich hinter ihren Ehemann, unternahm nichts.

Erst eineinhalb Jahre später erzählte die Stieftochter ihrer älteren Schwester davon, die sofort aktiv wurde. Die heute 23 Jahre alte Jura-Studentin recherchierte im Internet, dass auch ein Zungenkuss strafbar sein kann, und ging mit der Schwester zur Polizei.

Angeklagter sieht Verschwörung

Der Stiefvater spricht von einer Verschwörung der Schwestern. Sie wollten seine Ehe mit ihrer Mutter zerstören. Nie sei er allein mit Stieftochter in der Wohnung gewesen, behauptet er. Die Tat könne auch aus einem anderen Grund nicht geschehen sein: „Ich küsse meine Ehefrau nie. Warum soll ich dann ihre Tochter küssen?“ Sein Verteidiger Wolfgang Frisch zeigt sich sachkundig: „Küssen gehört nicht zu seinem Sexual-Repertoire.“

Die Ehefrau bestätigt ihren Mann. Sie schließt aus, dass Tochter und Ehemann je allein in der Wohnung waren. Ihr Mann hätte sie auch noch nie geküsst, behauptet sie: „Das ist unnormal, aber man kann ja nicht alles haben.“

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Richter Güven ist ungehalten. Die Vernehmung der heute 16 Jahre alten Tochter hat das Gericht überzeugt. Anschließend vernimmt er noch einmal die Mutter. Sie korrigiert ihre Aussage. Jetzt will sie doch nicht mehr ausschließen, dass die Tochter mal allein mit dem Stiefvater war. Zum Teil bestätigt sie auch die Aussagen ihrer beiden Töchter, die von rigiden Erziehungsmethoden des Stiefvaters berichtet hatten.

Verteidiger will Freispruch

Staatsanwältin Sonja Hüppe hat keinen Zweifel an der Aussage der Stieftochter. Sie mache einen „reifen, differenzierten und sachlichen Eindruck“. Wenn sie die Vorwürfe erfunden hätte, um die Ehe der Mutter mit dem ungeliebten Stiefvater zu zerstören, hätte sie nach Hüppes Ansicht sicher etwas Schlimmeres als einen Zungenkuss erfunden. Verteidiger Frisch forderte dagegen Freispruch. Die Aussage der Tochter habe wie nachgelesen gewirkt, wenn sie Ausdrücke wie „eklig“ verwende. Sein Mandant sei es jedenfalls nicht gewesen: „Es ist nicht sein Sexualverhalten, andere auf den Mund zu küssen.“

Das Gericht war aber überzeugt, dass die 16-Jährige bei der Polizei und vor Gericht die Wahrheit gesagt hatte. Auch auf den Verteidiger ging Richter Güven in der Urteilsbegründung kurz ein: „Wenn ein 20 Jahre älterer Mann, der auch noch mit ihrer Mutter verheiratet ist, sie küsst, was soll ein junges Mädchen anderes sagen als eklig?“

Zur Versöhnung der Mutter und ihrer Töchter kommt es im Prozess nicht mehr. Richter Güven spricht diesen Konflikt an: „Die Zeugin steckt in einer Zwickmühle zwischen dem Ehemann, der ihr Halt gibt, und ihren Töchtern. In dieser Rolle möchte ich auch nicht stecken, aber sie hätte sich ja raushalten und die Auskunft verweigern können.“