Essen. Die medizinische Brillanz ist unstrittig, aber das Essener Haus ist schwer zu führen und kann auch ein Intriganten-Stadel sein. Der Ärztliche Direktor Eckhard Nagel zog daraus die Konsequenzen und gab jüngst seinen Verzicht auf eine zweite Amtszeit bekannt. Sittengemälde eines medizinischen Großbetriebs.

Die Meldung fiel kurz und nüchtern aus: Prof. Eckhard Nagel, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Uniklinikums, steht für eine zweite Amtszeit in Essen nicht zur Verfügung. Bereits ein Jahr vor Ablauf seines Fünf-Jahres-Vertrages ließ der Transplantationsmediziner jüngst wissen, er werde „vertragsgemäß“ am 1. September 2015 eine Rückkehroption nach Bayern wahrnehmen. „Persönliche Gründe“ seien für diesen Schritt ausschlaggebend. Ein normaler Vorgang, könnte man meinen. Es gibt aber eine Geschichte hinter der Geschichte.

Ein Klinikum ist kein Ponyhof und das Essener schon mal gar nicht. Mag der Ärztliche Direktor für Außenstehende das Sagen haben, hinter den Kulissen ist alles viel komplizierter. Mehrere Dutzend weitgehend autonome Klinikchefs rangeln um Macht, Einfluss und Geld, die Landespolitik redet ein wichtiges Wort mit, Gewerkschaften setzen ihre Interessen durch, neben dem Ärztlichen Direktor bildet der Verwaltungschef einen eigenen Kosmos und der Rektor der Universität Duisburg-Essen hat ebenfalls einiges zu sagen. In einem solchen Gebilde mit in Essen immerhin 5800 Mitarbeitern kann es schnell ungemütlich werden.

Erbitterte Feinde unter den selbstbewussten Chefärzten

Vor allem unter den selbstbewussten Chefärzten hatte Eckhard Nagel sehr rasch einige erklärte Feinde, als er begann zu tun, wofür er unter anderem geholt worden war: Altes zu hinterfragen, umzustrukturieren, neue medizinische Schwerpunkte zu setzen. Wer vermeintlich Bewährtes aufbricht, der hat es nirgendwo leicht, aber am wenigsten in einem medizinischen Großbetrieb mit seinen vielen Machtzentren.

So weit Nagels Version. Seine Gegner verbreiten selbstredend eine andere: Er sei nicht an echter Kommunikation interessiert und entscheidungsschwach gewesen. „Früher gab es einmal pro Monat ein Treffen der Klinik-Direktoren mit dem Vorstand, wo Probleme ausgeräumt wurden“, sagt einer aus diesem Kreis. „Wir haben die Direktoren-Konferenz dann aufgelöst, weil die nichts brachte und wir uns auch nicht mehr einig waren.“

Das Westdeutsche Protenenzentrum als Spaltpilz und Streitpunkt

Ein Spaltpilz war der komplexe, von Rückschlägen begleitete Aufbau des Westdeutschen Protonentherapiezentrums (WPE). Er lieferte einer Gruppe von Chefärzten mit dem Neurologen Prof. Hans Christoph Diener als inoffiziellem Sprecher Munition gegen Nagel, der seinerseits wiederum andere Klinik-Chefs an seiner Seite wusste. Der Vorwurf: Das Prestigeprojekt der neuartigen Strahlenklinik, das Nagel in Essen vorgefunden hatte und ans Laufen bringen musste, sauge Geld ab, das in anderen, in ihren Instituten fehle.

Inzwischen sind im WPE rund 100 Patienten behandelt worden, darunter über 60 Kinder. Für jeden sei ersichtlich, dass das Projekt eine Erfolg ist, sagt Nagel. Es gab weitere Rangeleien, etwa um das Für und Wider eines von Nagel forcierten Zentrums für Notfallmedizin. Auch dabei, heißt es, seien Eifersüchteleien anderer Institute ein riesiges Problem gewesen.

Ein charismatischer, feinsinniger Intellektueller

Inhaltliche Differenzen, die vielleicht hätten ausgeräumt werden können, wenn die menschliche Ebene gestimmt hätte. Aber genau da passte es eben überhaupt nicht. Nagel ist ein ungewöhnlicher Arzt, der die Grenzen seines Fachgebiets gern und oft überschreitet - kein medizinischer Haudegen, sondern ein charismatischer, feinsinniger Intellektueller. Neben seinen medizinischen Abschlüssen, erworben an klangvollen Adressen im In- und Ausland, hat der 54-Jährige noch einen Doktortitel in Philosophie. Er sitzt im Deutschen Ethikrat und kirchlich engagiert. Nagel ist nicht der Typ Strippenzieher oder hemdsärmeliger Manager, eher wirkt er still und nachdenklich. Aber er hat, wenn’s drauf ankommt, Zugang zu den wirklich Mächtigen im Land.

Soviel Umtriebigkeit und Beachtung weit über Essen hinaus gefiel nicht allen. Schnell gab es hintenrum Vorwürfe, er tanze auf zu vielen Hochzeiten. Mit gutem Gespür für öffentliche Erregungsmechanismen kamen Gerüchte über angebliche private Zweckentfremdung von Dienstwagen auf. Juristische Gutachten entlasteten Nagel, doch noch immer behaupten Gegner, viele Details würden mit juristischen Tricks unter der Decke gehalten.

Geüchte um Ermittlungen - die Staatsanwaltschaft dementiert

Und die Gerüchteküche köchelt weiter - bis heute. Noch die Nachricht seiner Nichtverlängerung wurde von Gerede begleitet, gegen Nagel liefe ein Ermittlungsverfahren. Die Staatsanwalt Essen dementierte. Nichts, gar nichts läge vor. Dass das Essener Uniklinikum - bei aller medizinischen Brillanz - auch ein großer Intrigantenstadel ist, wurde aber so erneut bestätigt.

Eine zweite offene Flanke für Nagel war das Verhältnis zur Gewerkschaft Verdi. Paradoxerweise half ihm nicht, dass gleich zu Anfang seiner Zeit in Essen die Leiharbeitsverhältnisse abgeschafft wurden, die zwar Geld sparten, das Klinikum jedoch bundesweit ins Gerede gebracht hatten. Rund 80 Millionen Euro pro Jahr gebe man jetzt mehr aus für Personal, heißt es im Nagel-Lager. Da könne man doch mal zufrieden sein. Aber auch zwischen den Essener Verdi-Leuten und dem Ärztlichen Direktor soll die Chemie einfach nicht gestimmt haben.

Am Ende fiel ihm der Verzicht auf die zweite Amtszeit recht leicht

Menschen, die ihm nahestehen, sagen jedenfalls, das Maß an übler Nachrede, das er in Essen erlebt habe, sei schwer erträglich gewesen. Es trug sicherlich einiges dazu bei, dass ihm der Verzicht auf eine zweite Amtszeit am Ende recht leicht fiel. Die Ministerpräsidentin hätte Nagel - so ist zu hören - gerne gehalten, auch NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze gab zu Protokoll, sie habe seine Entscheidung „mit großem Bedauern“ zur Kenntnis genommen. Dennoch ist unklar, ob im Aufsichtsrat erneut eine breite Unterstützung für eine Vertragsverlängerung zustande gekommen wäre. Dort sitzen neben Freunden Nagels, wie etwa Evonik-Chef Klaus Engel, auch Skeptiker wie Uni-Direktor Ulrich Radtke und Gegner wie die Personalratsvorsitzende Alexandra Willer.

Durch seinen freiwilligen Abschied hat Nagel die Probe aufs Exempel vermieden. Besonders unter Vertretern der Ruhr-Wirtschaft ist das Bedauern darüber groß. „Da haben wir mal einen Guten, der Exzellenz ins Ruhrgebiet bringt, und dann mobbt man ihn weg.“

Nagel: Die begonnene Arbeit soll fortgesetzt werden

Wichtig sei ihm, dass die in Essen begonnene Arbeit fortgesetzt wird. „Ich werde nicht einfach gehen und hier alles liegenlassen“, sagt Nagel, der ansonsten zu den Konflikten schweigt - wie seine Widersacher offiziell auch. Das Westdeutsche Tumorzentrum, das Transplantationszentrum, das Herz- und Gefäßzentrum, der Bau der Kinderklinik, für den gerade ein Architektenwettbewerb läuft - Projekte, die Nagel am Herzen liegen und für die er glaubt, Bleibendes geleistet zu haben. Möglich, dass er sich dafür gewinnen lässt, auch nach 2015 einen Teil seiner Arbeitszeit in Essen zu verbringen. Einen kleinen, versteht sich.

Ach ja, und auch die Klinik-Direktoren wollen sich wieder treffen, im September erstmals seit anderthalb Jahren: „Die Zeit, in der das keinen Sinn machte, läuft ja nun bald ab.“