Es ist keine Sensation, hat aber eher Seltenheitswert: Die neue Leiterin des Jugendamtes ist kein Essener Eigengewächs, sondern bekleidete dieselbe Position zuletzt im rheinischen Monheim. Den Wechsel von der 40 000-Einwohner-Stadt ins vielfach größere Essen geht Annette Berg (47) mit selbstbewusster Gelassenheit an. In ihrer Amtszeit machte Monheims Jugendhilfe Schlagzeilen – positive.
Die Geschichten vom amtlichen Versagen, von jungen Straftätern, die angeblich zu sehr gehätschelt werden – wohl jedes Jugendamt hat sie mal über sich lesen müssen. Die Monheimer indes schafften es als Erfolgsstory auf die Wirtschafts-Seite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ): Weil ihre Jugendhilfe nicht erst ansetzt, wo Kinder abrutschen, sondern die Risikofälle von der Geburt an begleitet, ihnen Bildung und Betreuung bietet.
Nie würde Annette Berg den Erfolg des mehrfach ausgezeichneten Projekts Monheim für Kinder (Moki) nur für sich reklamieren. Aber sie erinnert sich gut an die Anfänge: Als sie mit 32 Jahren jüngste Jugendamtsleiterin bundesweit wurde, kam sie direkt aus der Praxis, hatte nach dem Sozialpädagogikstudium ein Stadtteilzentrum für Jugendliche in Wuppertal aufgebaut. Und schon zuvor als junge Erzieherin hatte sie nicht den Weg in die Kita gewählt, sondern ins Mädchenheim: „Ich hab’ mit 21 richtige Schicksale kennengelernt, misshandelte Mädchen... Und ich weiß, wie das ist, wenn man da steht, und eine droht, Dich zu schlagen.“
Sie kannte also den sozialarbeiterischen Reparaturbetrieb, wusste, wie schwer es ist, einem beschädigten Jugendlichen „eine Idee dafür zu vermitteln, wer er sein könnte“. In Monheim nun fand sie eine bedrückende Haushaltslage vor und sah sich die Zahlen an. „Da fiel auf, dass wir viel Geld ausgaben und trotzdem immer mehr Kinder in Heime mussten. So entstand die Idee, dass wir viel früher an die Kinder herankommen müssen.“
Darum wurde Geld umgeschichtet, wurden Begrüßungspakete für Babys gepackt, um frühzeitig Kontakt zu den Familien zu bekommen, wurden Elterncafés an Schulen eingerichtet und Sport-AGs für Kinder. Freie Träger, Kitas, Schulen und Amt sahen sich als Teile einer Präventionskette. Kinder aus dem Brennpunkt Berliner Viertel wurden nicht erst als Problemfälle wahrgenommen, sondern frühzeitig als Potenzial. Nun traten sie beim Stadtlauf an, formulierten Eltern neue Bildungsziele. „Die Mentalität änderte sich“, sagt Berg und unterfüttert das mit Zahlen. „Als ich anfing, wechselten im Berliner Viertel 8 Prozent der Kinder zum Gymnasium, heute sind es 25.“
Eine Generation hat sie in Monheim begleitet, und so ist es nach 15 Jahren der passende Moment für eine neue Herausforderung. Ihre Tochter ist 19, gerade für ein Jahr in den USA und dann gewiss auf dem Absprung. Darum kann sich Annette Berg einen Umzug von Wuppertal nach Essen vorstellen. Ihr Mann auch. Er hatte sich übrigens um das Baby gekümmert, als seine Frau nach sechs Monaten Elternzeit wieder arbeiten ging. „Mit dem Modell waren wir damals Exoten.“
Klar, dass sie sich für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf einsetzen wird. Mit welchem Thema sie in Essen einmal Schlagzeilen machen könnte, weiß sie nach drei Wochen im Amt aber natürlich noch nicht zu sagen. Noch ist sie auf Kennenlern-Tour durch die Abteilungen des Hauses, das sie gut aufgestellt sieht – als Agentur für alle Familien: „Es ist unsere Aufgabe zu sehen, wenn es Kindern schlecht geht, aber auch für die da zu sein, denen es gut geht.“