Sich mit den städtischen Finanzen zu beschäftigen, ist in Zeiten wie diesen nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig. Also versuchte es Reinhard Paß mit einem Scherz und zitierte gestern den österreichischen Dramatiker Johann Nestroy: „Die Phönizier haben das Geld erfunden – aber warum so wenig?“

Ihr gequältes Lachen über den Einstiegs-Gag des Oberbürgermeisters wird den Essener Politikern noch im Halse stecken bleiben. Denn wer dachte, nach den schmerzhaften Einschnitten der zurückliegenden Zeit würde man die Zügel mal wieder etwas locker lassen, wieder mehr Geld ausgeben können, der sieht sich getäuscht: Auf gut 1550 Seiten präsentierten der Oberbürgermeister und Essens Finanzchef Lars Martin Klieve gestern ein Zahlenwerk für 2015 und 2016, das neue Einsparungen, neue Steuererhöhungen, neue Zumutungen bereithält.

Und anders als in zurückliegenden Jahren, ist die Hoffnung unbegründet, die Stadtspitze habe da im zweifel eher übervorsichtig gerechnet, um eine ausgabefreudige Politikerschar von Prestige-Projekten und leichtfertigen Geschenken ans gemeine Volk abzuhalten. Nein, das „atmende Gebilde“ des Haushaltes nähere sich dem Atemstillstand, warnte der OB gestern, und wenn es auch nicht angezeigt sei, „die Stadt schlechter zu reden als sie ist“ – in finanzieller Hinsicht sei Alarmstimmung durchaus angebracht.

Denn trotz historisch niedriger Zinsen und mancher Kürzungsrunde, nicht zuletzt beim Personal, gelingt es der Stadt nicht, den Doppel-Etat der kommenden beiden Jahre auszugleichen. Der Schuldenstand bleibt mit 3,3 Milliarden Euro (zuzüglich 2 Milliarden bei den städtischen Töchtern) erschreckend hoch – und selbst eine spürbare Erhöhung der Grundsteuer um rund 13,5 Prozent (die NRZ berichtete) reicht nicht aus, um das erlaubte Minus des Haushaltssanierungsplanes zu erreichen. 21 Millionen Euro fehlen noch in der Kalkulation.

OB Paß mochte gar nicht groß drumherum reden: Das Zahlenwerk, so bekannte er gestern, sei „nicht inspirierend“ und „kein großer Wurf“, aber „mutig und verantwortbar“. Eine „solide Grundlage“, die – und das ging wohl in Richtung der Politik, nicht allzu kritisch daran herumzuschrauben – „kaum Arrondierungen verträgt, geschweige denn große Veränderungen“.

Schon in der Vergangenheit konnte sich die Stadtspitze darauf verlassen, dass 95 Prozent ihres vorgelegten Stadt-Haushaltes unangetastet blieb, jetzt gelten selbst noch die restlichen fünf Prozent als vermintes Gelände. Denn um die strengen Vorgaben des Haushaltssanierungs-Plans einzuhalten – er ist schließlich Bedingung für die Mittel aus dem Stärkungspakt, die mit 90 Millionen Euro in Essen so reichlich wie in keiner anderen NRW-Stadt fließen – gilt die von der Politik selbstgewählte Devise: Keine zusätzlichen Ausgaben, für die man keinen Deckungsvorschlag an anderer Stelle bereit hält.

Selbst den Finanzexperten im Rathaus fiel dies so schwer wie noch nie. Erstmals wollen sie 2015 deshalb auch bei der Sparkasse Essen die Hand aufhalten: „Angesichts der äußerst kritischen Situation“, so Stadtkämmerer Lars Martin Klieve, erwarte man im kommenden Jahr erstmals eine Ausschüttung in Höhe von drei Millionen Euro. Das sei „ohne Zweifel ,gut für Essen’.“

Sparkassen-Sprecher Volker Schleede reagierte auf diese Ankündigung gestern zurückhaltend: Eine solche Ausschüttung sei am Ende „eine Frage der wirtschaftlichen Situation der Sparkasse“ – und der Beschluss müsse letztlich im Verwaltungsrat und im Stadtrat fallen.

D a s s er dort fällt, dass auch das fragile Zahlenwerk die Zustimmung erhält, dafür warb Klieve gestern leidenschaftlich: Der erst im Frühjahr gewählte Rat stehe vor „historischen Chancen“. Er könne den ersten substanziellen Etatausgleich seit 1992 beschließen, die erste fortgesetzte Schuldentilgung seit 1977, die erste Steuersenkung seit 1954 – „alles ist möglich, wenn Sie es wollen“.

Es war das Versprechen, das Eltern gern ihren Kindern geben: der Trost damit, was für ein schönes Gefühl es ist, wenn der Schmerz nachlässt. Aber erst einmal, wie gesagt, müssen sie da durch, „wir müssen nicht nur das tun, was ankommt, sondern vor allem das, worauf es ankommt.“

Die Stadtverwaltung habe da schon so manches geleistet, jetzt nimmt Klieve die städtischen Tochterfirmen ins Visier – und stachelt den Rat an, nicht weich zu werden, bloß nicht einzuknicken. Am Ende lockte der Kämmerer mit der Aussicht darauf, dass die Stadt aus ihrem finanziellen Jammertal herauskommt, und verabschiedete die 90 Ratsmitglieder mit einer guten Portion Pathos in die Etatberatungen: dass sie ihre Chance nutzen mögen, „dann wird man sich dereinst an Ihre Wahlperiode erinnern, den zahlenmäßig größten Rat, der zugleich ein wahrhaft großer war.“