Essen. . Für Günther O., der seine Stieftochter ermordet und begraben haben soll, läuft es im Mordprozess schlecht. Erst muss er eine Stunde lang die Stimme Madeleine W.s hören, dann widerlegt auch noch die Rechtsmedizinerin seine Version vom Unfalltod. Eindeutig: Madeleine war tot, als sie begraben wurde.

Im Mordprozess vor dem Essener Schwurgericht reagiert der Angeklagte Günther O. am Donnerstag äußerst nervös, als die Stimme seiner Stieftochter Madeleine W. im Saal zu hören ist. Über eine Stunde lang muss er die Stimme der jungen Gelsenkirchenerin vernehmen, die er im Februar ermordet und in seinem Schrebergarten unter Beton und Erde begraben haben soll.

Der 47-jährige Essener windet sich, verdreht seine Arme, schneidet Grimassen. Doch Madeleines Stimme bleibt, eine Tote klagt an. Schließlich legt er seinen Kopf auf den Tisch und die Hände auf die Ohren. Zeitweise steckt er sogar einen Finger hinein.

Nachdem Madeleine im Sommer 2012 aus dem elterlichen Haushalt geflüchtet war und sich vor ihrem Stiefvater verbarg, hatte sie ihn wegen jahrelangen sexuellen Missbrauchs angezeigt. Knapp ein Jahr zuvor hatte die damals 21-Jährige seine Tochter zur Welt gebracht. Was die Prozessbeteiligten am Donnerstag zu hören bekamen, war ein aufgezeichnetes Gespräch Madeleines mit einer Psychologin, die ihren belastenden Aussagen später Glaubwürdigkeit bescheinigte.

„Der soll in den Knast gehen“

Madeleine spricht schnell, lässt kein gutes Haar an ihrem Stiefvater: „Der soll bestraft werden. In den Knast gehen. Das eklige, perverse Schwein.“ Zu Beginn ihrer Pubertät, so mit 13, fing es an, erzählt sie: „Als meine Brüste wuchsen, wurde er begierig, fasste mich an.“ Zum ersten Geschlechtsverkehr sei es gekommen, als sie 15 Jahre alt war.

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Gewalt lastet sie ihm nicht an. Geld bekam sie: „Ich war sein Liebling, habe alles bekommen.“ Sie habe nie etwas anderes gekannt: „Wenn ich ein neues Smartphone wollte, musste ich dafür natürlich was tun.“ Angezeigt habe sie ihn schließlich, weil sie um ihr Kind fürchtete. Angst hätte sie, dass er auch die Kleine einmal missbrauchen werde. Sie erzählt, dass ihr Stiefvater sie offenbar schwängern wollte. Verhütungsmittel lehnte er ab, sagt sie. Als der Frauenarzt ihr eine Packung Anti-Baby-Pillen schenkte, habe Günther O. die Schachtel verschwinden lassen.

Als sexsüchtig beschreibt sie ihn. Oft sei er in ihr Zimmer gekommen, die Hand in der Hose. Auch wenn die Mutter nebenan in der Küche saß oder der Bruder in der Wohnung war, hätte der Stiefvater Sex gewünscht.

Polizisten getäuscht

In einer Vernehmung bei der Kriminalpolizei spielt auch eine „eidesstattliche Erklärung“ von Madeleine eine Rolle. Nachdem sie den Stiefvater am 9. August 2012 angezeigt hatte, durchsuchte die Polizei seine Wohnung in Essen-Borbeck. Sehr kooperativ zeigte er sich dabei nicht. Die Tür blieb zu, am Handy sagte er den Beamten, er mache gerade Urlaub, sei gar nicht zu Hause. Als die misstrauischen Polizisten den Schlüsseldienst holten, um in die Wohnung zu gelangen, öffnete ihnen Günther O. dann doch die Tür. Hinter ihm standen Ehefrau und Sohn.

Sofort präsentierte er ihnen eine eidesstattliche Erklärung seiner Stieftochter. Darin bestätigte sie kurz vor ihrer Flucht, dass sie mit Günther O. „ohne jeglichen Zwang Geschlechtsverkehr“ hatte und so auch die Tochter gezeugt worden sei. Eine zweite Erklärung hatte ein Nachbar, langjähriger Freund von Günther O., unterzeichnet. Danach hätte Madeleine ihm versichert, ihr Stiefvater hätte sie „nie gezwungen“. „Ich habe keinen Grund anzunehmen, dass sie mich angelogen hat“, endet die Erklärung des Nachbarn.

Fassungslos und aufgebracht soll Madeleine darauf reagiert haben, berichtet eine Kripo-Beamtin. Nie habe sie mit dem Nachbarn über Sex gesprochen. Ihre Unterschrift habe sie nur geleistet, um den Stiefvater zu beruhigen, weil er nach einem gescheiterten Fluchtversuch so aufgebracht gewesen sei.

Unfalltod widerlegt

Für Günther O. läuft es schlecht im Mordprozess. Rechtsmedizinerin Iliana Tzimas widerlegte am Donnerstag seine Aussage, er habe Madeleine nur unabsichtlich mit einer an den Kopf geworfenen Flasche bewusstlos gemacht und die vermeintlich Tote lebendig begraben. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass ein Mensch nach einem solchen Wurf bewusstlos sein könnte, betonte sie.

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Aber diese Kopfverletzung spielt keine entscheidende Rolle. Denn laut Gutachten ist Madeleine nicht unabsichtlich getötet, sondern aktiv erstickt worden. Gerichtsmedizinerin Tzimas legt sich eindeutig fest: Todesursache sei der Druck auf den Brustkorb, etwa durch einen auf ihr knienden Menschen. Und eindeutig: „Sie war tot, als sie begraben wurde.“ Ihr Mund sei zwar mit einem Geschirrtuch verschlossen gewesen, die Nase aber frei. Deshalb hätten in der Lunge Schmutzpartikel gefunden werden müssen, wenn Madeleine in der Grube erstickt wäre. Tzimas: „Die Verästelungen der Lungen waren aber frei von Schmutz.“

Druck auf den Brustkorb

Günther O. hat jetzt das Problem, dass er in seinem „Geständnis“ eingeräumt hatte, dass er zum Todeszeitpunkt allein mit Madeleine war. Sein Sohn Daniel sei in dem Moment außerhalb des Raumes gewesen. So kommt nur er für den Druck auf den Brustkorb in Frage.

Aber das Gutachten wirft ein anderes Rätsel auf. Als sie aus dem Grab gehoben wurde, waren Hände und Füße gefesselt, beide Fesselungen mit einem Band verbunden. Die Spurenlage belegt laut Iliana Tzimas wiederum eindeutig, dass Madeleine schon tot war, als ihr die Fesseln angelegt wurden. Aber warum fesselt man eine Leiche?