Die Infektionswelle in den Flüchtlingsunterkünften des Landes ist an Essen nicht spurlos vorübergegangen: Windpocken waren jetzt der Anlass für eine groß angelegte Untersuchungs- und Impfaktion in der Notunterkunft im Opti-Park am Rande der Innenstadt. Alle verfügbaren Mitarbeiter des Gesundheitsamtes und niedergelassene Ärzte ermittelten in den vergangenen Tagen den Immunstatus von rund 360 Menschen durch Blutproben. Wer keine Antikörper gegen die Krankheit besaß, wurde geimpft.
Zwei infizierte Geschwisterkinder befinden sich auf Anordnung des Gesundheitsamtes in Quarantäne. Eine Ärztin kontrolliert ihren Gesundheitszustand. Einer der kleinen Flüchtlinge soll wieder genesen sein.
Diese Aktion, die den amts- und kinderärztlichen Dienst der Stadt dem Vernehmen nach an die Grenzen der Belastbarkeit brachte und Kosten für die Kommune in noch nicht bezifferbarer Höhe verursachte, war nicht nur in medizinischer Hinsicht von durchschlagender Wirkung – sondern irgendwie auch ansteckend.
Essen ist jetzt offenbar landesweit die einzige Stadt, die den Immunstatus der Menschen in einer Landesunterkunft lückenlos dokumentiert hat. Eine Leistung, die dem Arnsberger Regierungspräsidenten Gerd Bollermann nicht nur einen lobenden Anruf beim Oberbürgermeister abgerungen haben soll. Inzwischen ist es sogar so, dass die zuständige Bezirksregierung für vorbeugende Empfehlungen aus Essen besonders empfänglich ist.
Auf Anregung des hiesigen Gesundheitsamts will das Land nun offenbar etwas einführen, was bislang komplett Fehlanzeige war im NRW-weiten Behördendenken: ein einheitliches Impfmanagement in allen zentralen Einrichtungen und Notunterkünften des Landes, um womöglich tausende Erkrankungen in den Kommunen zu verhindern. Details zum künftig landesweit einheitlichen Vorgehen werden im Moment zwischen der Bezirksregierung Arnsberg, dem Gesundheitsministerium und dem Innenministerium geklärt. Ein erstes Konzept soll zumindest in Grundzügen am Montag vorliegen.
Nach NRZ-Informationen ist es erklärtes Ziel, die Flüchtlinge nicht nur wie bisher allein auf Tuberkulose-Erkrankungen zu untersuchen, sondern sie möglichst schon bei ihrer Registrierung in den zwei Erstaufnahme-Lagern impfen zu lassen. So sollen Krankheitsausbrüche allein auf Kosten der Kommunen in den Anschlussunterkünften vermieden werden.
Bei der Konzept-Planung orientiert man sich offenbar an Essener Richtlinien: Grundsätzlich sollen die Flüchtlinge auf Antikörper gegen Masern, Mumps, Röteln, Windpocken und Keuchhusten untersucht werden. Für Frauen sind Schwangerschaftstests vorgesehen, um Impfkomplikationen zu vermeiden. Erwachsenen sollten die Schutzimpfungen zumindest angeboten werden. Kinder und Jugendliche, so ein Vorschlag aus dem Essener Gesundheitsamt, sollten allerdings grundsätzlich so versorgt werden, wie es die „Ständige Impfkommission“ empfiehlt.
Dass unter den Flüchtlingen eine Verweigerungshaltung gegen eine freiwillige Schutzimpfung grassieren könnte, ist wohl nicht zu befürchten: Die Menschen im Opti-Park zeigten sich jedenfalls dankbar dafür, dass sich jemand um ihre Gesundheit kümmerte, heißt es.