Im Januar stimmten die Essener darüber ab, ob die Messe Essen für 123 Millionen Euro ein neues Gesicht erhalten soll – und sagten nein. Im vergangenen Jahr kippten die Bürger die geplante Umbenennung der Von-Seeckt- und der Von-Einem-Straße. Mit Bürgerentscheiden haben die Essener bereits ihre Erfahrungen gemacht; der erste datiert von 2001 als es um den Erhalt aller Sportstätten ging. Da lag es für die Bertelsmann-Stiftung wohl nahe, die Essener für ihre Studie zum Thema „Vielfältige Demokratie“ zu befragen. Nicht nur in der Ruhrstadt gilt: „Die Erwartungen der Bürger an demokratische Mitbestimmung haben sich verändert. Wählen alleine reicht ihnen nicht mehr“, fasst Robert Vehrkamp von der Bertelsmann-Stiftung das Ergebnis der repräsentativen Befragung zusammen.

Die wichtigsten Ergebnisse aus Essen lesen sich laut der Studie so:

Die Essener sind generell zufrieden mit der kommunalen Demokratie. 15 Prozent der Befragten gaben an, sich für politische Themen, die in der Stadt diskutiert werden, „eher stark“ zu interessieren, 24 Prozent sind sogar „sehr stark“ interessiert. Zehn Prozent gaben an, sie seien gar nicht an Kommunalpolitik interessiert.

Über Entscheidungen möchten die Essener nicht nur diskutieren, sie möchten auch mitentscheiden. So gaben 77 Prozent an, sie sollten immer die Möglichkeit haben, mitzureden und ihre Sicht der Dinge darzulegen, bevor der Rat der Stadt entscheidet. 64 Prozent meinten gar, dass die Bürger selbst entscheiden können sollten. 60 Prozent gaben an, dass Bürger insbesondere durch Wahlen Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen sollten. Wahlen seien ihrer Meinung nach das wichtigste Instrument der politischen Teilhabe. Die Bürger, so Robert Vehrkamp, wollten durch Wahlen ihre politische Mitbestimmung aber nicht für Jahre komplett aus der Hand geben.

Wohl deshalb stehen Bürgerbegehren als Instrument der direkten Beteiligung bei den Essenern hoch im Kurs. 61 Prozent erklärten, sie würden ganz sicher beziehungsweise sicher teilnehmen. Nur sieben Prozent der Befragten schlossen dies für sich aus. Mehr als jeder zweite (54 Prozent) gab an, er würde Bürgerversammlungen nutzen, um miteinander und mit Politikern zu diskutieren.

Beim Rückblick auf die Bürgerentscheide und Bürgerbegehren der vergangenen Jahre spiegelt sich das in der Bertelsmann-Studie nur mit Abstrichen wieder. Beim Bürgerentscheid um den umstrittenen Messe-Ausbau gab nicht einmal jeder dritte Abstimmungsberechtigte seine Stimme ab. Und bei der hochemotional geführten Auseinandersetzung um die geplante Straßenumbenennung lag die Beteiligung bei 30 Prozent, was für Bürgerentscheide sehr viel ist. Bei der Abstimmung zum „Masterplan Sport“ und zur Frage der Privatisierung städtischen Eigentums 2007 betrug die Wahlbeteiligung gar nur 16,7 Prozent. Und bei Bürgerversammlungen im Rahmen der Aufstellung von Bebauungsplänen herrscht eher gähnende Leere, als dass es an freien Stühlen mangelt. Nicht ausgeschlossen, dass sich Bürger, die für die Studie befragt wurden, aufgeschlossener gegenüber Bürgerbeteiligung zeigten, als sie es tatsächlich sind. Eine Erkenntnis sollten sich Entscheidungsträger dennoch zu Herzen nehmen: Sind Bürger mit dem Verfahren der Bürgerbeteiligung nicht zufrieden, sinkt auch ihre Zufriedenheit mit der kommunalen Demokratie, und zwar drastisch.