Essen. Die Essener Ernährungsberaterin Heike Stumpf über gesundes Essen,modernes Zeitmanagement, konzeptlose Diäten und vegane Lebensphasen

Frau Stumpf, was haben Sie heute Morgen eigentlich gefrühstückt?

Heike Stumpf: Ein Roggenbrötchen mit Quark und Marmelade.

Und das ist gesund?

Stumpf: Gesund ist immer relativ. Ich mag es jedenfalls. Es macht ja überhaupt keinen Sinn, den ganzen Tag nur Obst oder Gemüse zu essen. Viele Menschen bekommen davon sogar Magen-Darm-Probleme.

Damit wären wir auch schon bei unserem Thema. Was halten Sie von rein pflanzlicher Ernährung?

Stumpf: So einfach lässt sich das nicht beantworten. Eine ausgewogene Ernährung mit gewissen Anteilen an Fleisch, Fisch und Geflügel muss nicht ungesund sein. Es kommt auf die Ressource und die Verarbeitung an. Also besser natürliche Produkte kaufen, beispielsweise unpaniertes Fleisch. Aber auch vegane Ernährung kann gesund sein, da der Körper nicht zwangsläufig auf tierisches Eiweiß angewiesen ist.

Welche Alternativen gibt es denn?

Stumpf: Sojaprodukte, Kräuter und Pilze enthalten auch viel Protein. Wenn Sie sich eine Gemüsepfanne vorstellen, mit Tofu, Kichererbsen und Gartenkräutern, ist das nicht weniger gesund als etwa Fisch. Trockenobst enthält auch viel Protein, weil es so stark konzentriert ist.

Fehlt denn da so gar nichts?

Stumpf: Ich glaube, dass man das von Ernährungsweise zu Ernährungsweise betrachten muss. Wenn man eine vielfältige vegetarische Ernährung hat, kommt man sicher nicht zu einem Defizit. Wenn man allerdings Mahlzeiten weglässt, kann das zu einem Mangel führen.

In Deutschland leben etwa 900.000 Menschen vegan. Warum entscheidet man sich dafür?

Stumpf: Vegane Ernährung ist grundsätzlich nichts Neues, hat sich aber im Laufe der Zeit intensiviert. Unsere Lebensart hat sich verändert. Oft hat es weniger mit den Inhaltsstoffen, sondern mit der Tierhaltung zu tun. Medienberichte über Skandale in der Landwirtschaft mögen also ein Grund sein, warum immer mehr Menschen auf Fleisch verzichten.

Wie erleben Sie das in Ihrer Praxis, wenn sich Leute über fleischlose Ernährung erkundigen?

Stumpf: Zunächst muss ich sagen, dass gerade die vegane Ernährungsweise für viele, die sich damit nicht auseinandergesetzt haben, sehr streng klingt. Oft steckt da aber eine persönliche Philosophie dahinter. Wir würden uns vermutlich ein Tofuwürstchen kaufen, weil wir einen Fleischersatz suchen.

Veganer kaufen Tofu aber aus einer ideologischen Einstellung heraus. In meiner Praxis versuche ich, fleischlose Ernährung nicht als Diät zu vermitteln. Muslime verbieten sich ja auch kein Schweinefleisch, sondern für sie gehört es einfach gar nicht in den Lebensmittelpool. Was ich erlebe, ist, dass manche Klienten eine vegane Phase haben, andere sind etliche Jahre lang Veganer, viele wollen es auch nur mal ausprobieren.

Was meinen Sie mit ausprobieren?

Stumpf: Es gibt unglaublich viele Leute, die zu Weight Watchers gehen, die abends gar nichts mehr essen oder sich eine Woche lang nur von Gemüse ernähren. Diese Leute sind auf der Suche nach einer optimalen Ernährungsweise, probieren neue Diäten aus und erhoffen sich, dass ihr Körper vor Energie sprüht. In meiner Praxis, kommt es oft vor, dass Klienten fragen, was sie tun sollen und nicht von sich aus sagen: Ich mache das für mich, um meine Laborwerte zu verbessern oder um andere Klamotten kaufen zu können.

Das klingt so, als fehle häufig so etwas wie das richtiges Konzept.

Stumpf: Die Verbraucher sind sehr verunsichert. Es gibt unglaublich viele Ernährungsempfehlungen. Viele Leute probieren daraufhin alle möglichen Diäten aus und wissen am Ende trotzdem nicht, was gut ist. Umgekehrt gibt es Kinder, die in der ganzen Woche nicht ein Stück Obst essen. Die Leute sind ja nicht gesundheitsbewusster geworden.

Was ist Ihrer Ansicht nach die Ursache für diese Verunsicherung?

Stumpf: Ich glaube, es ist eine Frage der Kanalisation, also wie ich die Dinge für mich sortiere und für mich anpasse. Ganz häufig ist es die fehlende Logistik. Genau das bearbeite ich mit meinen Klienten: Wie schaffe ich es, meinen Alltag und meine Ernährung aufeinander abzustimmen? Wenn ich mir einen Tagesablauf mache und weiß, dass ich mittags etwas von Zuhause mitbringe, dann ist die Situation weniger stressbelastet.

Wie ernähren wir uns denn wirklich?

Stumpf: Es ist zu beobachten, dass sich unsere Nahrungsaufnahme immer mehr zu einem Außer-Haus-Essen entwickelt hat. Das hat damit zu tun, dass wir in der Kantine essen und unsere Kinder in Kitas und Schulen verpflegt werden. Ein Punkt ist auch die Verfügbarkeit von Essen. Wir sind ja ständig von Essen umgeben.

Jeden Tag selbst kochen – halten Sie das heutzutage für realistisch?

Stumpf: Die Frage ist doch, wie wir die Zeit nutzen. Von meinen Klienten höre ich häufig: „Ich habe keine Zeit, ich habe keine Lust und es geht ja auch so.“ Aber seien wir ehrlich: Während die Tiefkühlpizza im Ofen ist, sind wir nicht wirklich produktiv. Bei annähernd gleichem Zeitaufwand könnte man auch kochen.

Was ist denn Ihre Empfehlung für eine gesunde Ernährung?

Stumpf: Die Empfehlungen gehen generell eher weg von kleinen Mahlzeiten hin zu vier größeren Portionen, optimal über den Tag verteilt. Wenn möglich zu jeder Mahlzeit eine Komponente aus Gemüse oder Obst. Die individuelle Menge richtet sich nach der eigenen Handgröße. Bezogen auf die Frage, wie groß die Einheiten jeweils sein sollen. Als ideal gelten zwei Portionen Obst und zwei Portionen Gemüse sowie eine Gemüseeinheit zusätzlich.

Einige Studien sehen einen Zusammenhang zwischen Einkommen und Essverhalten. Ist Ernährung wirklich eine Frage des Geldbeutels?

Stumpf: Ich empfinde das nicht. Man darf nicht nur auf den Preis schauen. Ein Vollkornbrot ist in der Anschaffung teurer, aber ein Toast habe ich schneller aufgegessen, weil es nicht so satt macht. Es ist sehr häufig zu beobachten, dass preiswertere Lebensmittel schneller gegessen werden. Dann haben wir die Fertigprodukte: Wenn ich mir einen Pudding kaufe, anstatt den selbst zu machen, ist der natürlich teurer.
___________________________

Das Interview mit der Essener Ernährungsberaterin Heike Stumpf führte NRZ-Mitarbeiter Felix Rentzsch