Nach dem Rücktritt Jochen Sanders vom Chefposten der Entsorgungsbetriebe knöpfen sich die Grünen den OB vor: Er behindere erneut die Aufklärung. EVV-Chef Miklikowski verteidigt die rechtliche Prüfung.
Wenn Ingmar Weitemeier irgendeiner krummen Sache auf der Spur ist, dann klopft er nicht zwingend vorher an. Hintenrum was rauszukriegen, das hat der einstige Direktor des Landeskriminalamtes Mecklenburg-Vorpommern gelernt. Und als etwa der Mitteldeutsche Rundfunk vor ein paar Jahren korrupte Vorgänge im eigenen Laden aufklären wollte, war sich der mittlerweile in die Wirtschaft gewechselte Frontmann der Berliner Ermittler-Firma Esecon Forensic Services auch nicht zu schade, Fotos eines prall gefüllten Aktenschranks zu präsentieren. Die dort gezeigten Plastiktaschen voller Unterlagen sollten eine offenbar bevorstehende Vertuschungsaktion belegen.
So einen, dachte man sich wohl bei den Entsorgungsbetrieben Essen (EBE), brauchen wir auch. Und beauftragte den erfahrenen Ermittler aufzuklären, ob womöglich was dran ist an den EBE-intern gestreuten Gerüchten, neben all dem seltsamen Wirtschaften nach Gutsherrenart, dem auch die Staatsanwaltschaft längst nachgeht, habe bei Essens Mülltruppe womöglich auch eine illegale Wettmafia ihr Unwesen getrieben.
Die Vorwürfe, so scheint es, sind inzwischen widerlegt, doch von ruhigem Fahrwasser ist die EBE weit entfernt. Denn indem Oberbürgermeister Reinhard Paß, der stets schonungslose, konsequente Aufklärung versprochen und die Bereitschaft zu „notwendiger Härte“ zugesagt hatte, die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Privatermittlers zu seinem Thema machte, sah Jochen
Sander die Rückendeckung für sich schwinden. Die Grünen, deren Fraktionsgeschäfte Sander einst führte, gingen gestern noch einen Schritt weiter: Sie warfen dem OB einmal mehr „fragwürdiges Verhalten“ vor, weil dieser „aller ernsthaften Bemühungen behindert, die EBE endlich von ihren Altlasten zu befreien“.
Dahinter steht der unausgesprochene Vorwurf, Paß könnte den Eifer der Aufklärer womöglich auch deshalb gebremst haben, weil er selbst Teil des Geflechts ist und sich schon deshalb nicht als „Ober-Aufklärer“ (Grünen-Spott) eigne. Denn nach wie vor empfindet mancher es als abenteuerliche Vorstellung, dass Paß als langjähriger Aufsichtsratschef der EBE vom seltsamen Geschäftsgebaren nichts gewusst haben will.
Kann aber jemand, der Teil des Spiels ist, die Spielregeln mitbestimmen? Dirk Miklikowski, Chef der städtischen Wohnungsgesellschaft Allbau und seit kurzem auch der Verkehrs- und Versorgungs-Holding EVV, verteidigte gestern den Plan, einen auswärtigen Rechtsanwalt prüfen zu lassen, ob die EBE-internen Prüfungen rechtmäßig abgelaufen sind: „Es geht nicht darum, Aufklärung zu verhindern“, so Miklikowski, der darum gebeten hatte, die Ermittlungen zunächst auf Eis zu legen – und bei den EBE-Chefs damit kein Gehör fand.
Aber wer mit privaten Ermittlern arbeite, der bringe die Mitarbeiter im Unternehmen gegen sich auf, mehr als einem lieb sein könne: Und schließlich, „man muss als Gesellschafter fragen dürfen: Ist dieses Vorgehen richtig?“ Wenn am Ende der Prüfung die Erkenntnis stehe, dass ja – „dann ist ja alles gut“.
Bis auf die Tatsache, dass der EBE ein allseits respektierter Frontmann abhanden gekommen ist. Dass Jochen Sander die rechtliche Prüfung als Zeichen mangelnder Rückendeckung für sich empfunden haben könnte – Miklikowski kann das verstehen. Aber wie müsste man mit einem Ergebnis umgehen, das da lautet: Die Aktion war rechtswidrig? Der EBE-Betriebsrat fordert für diesen Fall, die eingeholten Informationen nicht zu verwenden, sondern vielmehr sofort zu vernichten. Noch-Geschäftsführer Sander wird diese Zusicherung kaum geben, sein Remondis-Gegenpart Georg Jungen ebensowenig.
Und der OB und Miklikowski? Bliebe nicht ein ziemlich schaler Geschmack zurück, wenn auf diese Weise be- wie entlastendes Material vernichtet würde?
Miklikowski mag darüber nicht spekulieren. Erst einmal soll die Vorgehensweise der Berliner Ermittler-Firma Esecon Forensic Services auf den Prüfstand kommen, was ein paar Wochen dauern dürfte. Ob die Stadt für ihren 51-Prozent-Anteil an den Entsorgungsbetrieben einen weiteren, den nunmehr dritten Interims-Geschäftsführer ins Rennen schickt, ist ebenfalls noch nicht raus: „Wir haben kein Interesse an einem Vakuum“, formuliert Miklikowski, denn das könnte – auch dies bleibt nur zwischen den Zeilen zu lesen – Mitgesellschafter Remondis für sich nutzen, um im Unternehmen durchzuregieren.
Eine Chance zum Neuanfang
Dabei wollen ja alle den Neuanfang auch aus städtischem Blickwinkel: Wenn der EBE-Aufsichtsrat in der nächsten Woche zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommt, sei die Chance dazu da, glaubt CDU-Fraktionschef Thomas Kufen: Betriebsrats-Chef Thomas Altenbeck – eine der Schlüsselfiguren der Affäre – verlässt das Unternehmen, OB Paß räumt den Posten als oberster Aufseher.
Für seine Nachfolge ist Roman Brüx im Gespräch, Fraktionsgeschäftsführer der Sozialdemokraten im Rat.