Lang nichts mehr gehört vom „Pfuscharzt“. Von seiner „Pannenserie“, die es so offenbar nie gab. Von vermeintlichen Fehldiagnosen brustkrebskranker Frauen und unbewiesenen „Schlampereien“ bei der Gewebeentnahme.

Drei Monate nach dem Skandalgezeter um den Essener Radiologen Karlgeorg Krüger und das von ihm über mehrere Jahre verantwortete Mammografie-Screening ist die Empörungsindustrie längst ein Häuschen weitergezogen und lässt den seit 35 Jahren praktizierenden Bredeneyer Arzt angeschlagen zurück. Die geharnischten Vorwürfe haben sich bislang nicht bestätigt, aber das will kaum einer mehr schreiben oder senden.

Dabei lohnt es sich gerade jetzt genauer hinzusehen, denn der vermeintliche Skandal um Krügers Diagnosen hat einen anderen erst freigelegt, der wie durch ein medizinisches Wunder vier Jahre lang unter der Decke gehalten werden konnte: Es geht um mögliche manipulative Verschiebungen bei der Antwort auf die Frage, in welchem Krankenhaus sich an Brustkrebs erkrankte Frauen behandeln lassen.

Dazu muss man mehr von der Vorgehensweise beim Screening kennen als die alte zynische Arzt-Weisheit, dass „jeder Gesunde ein verlorener Kunde“ sei. Fakt ist: Bei den massenhaft organisierten Mammografien werden alle Frauen ausgesiebt, die Brustkrebs haben, eine Vorstufe davon oder mindestens einen abklärungsbedürftigen Befund.

Rund 300 Karzinome werden pro Jahr gefunden, und bringen nicht nur lähmendes Entsetzen über die betroffenen Frauen, sondern – man muss das so platt formulieren – viel Geld für jene Krankenhäuser, die die Behandlung übernehmen. Rund 5.000 Euro sind es in der Erstbehandlung; mit Nachbehandlung, Chemotherapie und Nachsorge kommen schnell gut 10.000 Euro schon bei gesetzlich Versicherten zusammen, und fast das Dreifache bei Privatversicherten, schätzt der Radiologe. Wer die Grundrechenarten beherrscht, merkt: ein Millionengeschäft.

Eines, von dem alle was hatten: Nach der NRZ vorliegenden Unterlagen wurden von 2006 bis 2009 im Schnitt rund 36 Prozent der Mammografie-Patientinnen in die Uniklinik eingewiesen, an zweiter Stelle stand das Krupp-Krankenhaus mit 33 Prozent, gefolgt von Elisabeth (18 %) und den Kliniken Essen-Mitte (13 %).

2010 änderte sich das schlagartig: Von da an wurden aus dem Brustkrebs-Screening unglaubliche 98 Prozent der Patientinnen dem Evangelischen Huyssensstift zugeteilt. Die restliche Krankenhaus-Konkurrenz – nahezu ausgeschaltet. Verantwortlich für die Vermittlung war Dr. Frank Stöblen, damals noch Radiologen-Kollege Krügers, wie er Programmverantwortlicher Arzt für das Screening und – obwohl mit Krüger schon heillos zerstritten – diesem damals noch in der Gemeinschaftspraxis „Diavero“ vertraglich verbunden.

Die Umleitung der Brustkrebs-Patientinnen allein in ein einziges Krankenhaus war so plump wie auf diesem Feld offenbar existenzgefährdend für die anderen Hospitäler. Die Antwort, dass die Patientinnen und auch die niedergelassenen Frauenärzte „das so wünschten“, kam den drei Kliniken Spanisch vor. Sie wussten sich nicht anders zu helfen, als juristischen Beistand zu suchen, und so berichtete die beauftragte Anwaltssozietät Dr. Rehborn aus Dortmund im September 2010 an das aufsichtführende Referenzzentrum Münster, dass da in Essen Seltsames vor sich gehe: Die Überweisungszahlen, so hieß es in dem Schreiben, das der NRZ vorliegt, „belegen (...), dass offensichtlich nicht ausschließlich medizinische Gründe für die nahezu 100%-ige Einweisung in die Kliniken Essen-Mitte maßgeblich sind“.

Bitte „die Neutralität wahren“

Aber welche dann? Die Kliniken deuteten eine Art Kumpanei oder Kartell zwischen Ärzten an und mahnten, die Praxis widerspreche der Versorgungsqualität, sei „berufs- und vertragsärztlich bedenkenswert“ und wohl „darüber hinaus wettbewerbsrechtlich unzulässig“.

Auch die Krankenkassen wurden hellhörig: Die AOK Rheinland/Hamburg griff stellvertretend für diverse Mitbewerber zur Feder, pochte in einem Rundschreiben an alle Screening-Einheiten im Lande darauf, dass „die gebotene Neutralität zu wahren ist“, und beließ es ansonsten bei einer wachsweichen Drohung: „Sofern (...) uns die Fallzahlen einzelner Krankenhäuser im Verhältnis zu anderen ebenfalls für die stationäre Behandlung von Brustkrebspatientinnen in Frage kommenden Krankenhäuser auffällig erscheinen, werden wir deren Entwicklung konkret hinterfragen“.

Was sich in Essen von selbst erledigte: Krüger warf im Herbst 2010 seinen „Diavero“-Partner Stöblen aus der Praxis, und fortan normalisierte sich die Verteilung der Fälle wieder. Das Uniklinikum etwa kam wieder auf etwas mehr als 40 Prozent der Fälle, die anderen liegen deutlich dahinter. Nur das Kruppsche Krankenhaus konnte nicht an die alten Zahlen anknüpfen.

Alles in Ordnung also? Offenbar nicht. Noch immer, so sagen etwa in der Krebsselbsthilfe engagierte Frauen, gibt es den auffälligen Versuch von verschiedener Seite – darunter auch niedergelassene Frauenärzte –, betroffene Patientinnen in ein bestimmtes Krankenhaus, nämlich die Kliniken Essen-Mitte zu lotsen. Nach dem so tatsächlich schon formulierten Motto: Wenn Sie überleben wollen, dann versuchen Sie es lieber dort.

„Unverantwortliche Panikmache“ sei das, schimpfen Beteiligte, zumal die These sich medizinisch nicht belegen lässt. Und der Verein „Frauenselbsthilfe nach Krebs“ äußert in einer Stellungnahme den Eindruck, da werde „auf dem Rücken der Krebs-Patientinnen und anderer Frauen ein Streit angefacht und ausgetragen, bei dem es um ganz andere Dinge als eine gute medizinische und menschliche Versorgung geht“: Die Patientinnen nur noch als Wirtschaftsfaktoren – „eine gefährliche Entwicklung“, warnt der Selbsthilfe-Verein.

Gefährlich auch für die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser: Denn anhand der behandelten Brustkrebsfälle entscheidet sich in Kürze, ob ein Hospital die Anerkennung als so genanntes Brustzentrum behält oder verliert und damit auch viel Geld. 100 Fälle sind erforderlich, das schaffen nicht alle. Mancher Klinikexperte sieht darin Spätfolgen der Ereignisse von 2010. Und zweifelt nun zum Teil untereinander die OP-Zahlen an.

Wie heißt es in einem Flugblatt der Stadt zum Thema? „Das Mammografie Screening in Essen zeichnet sich dadurch aus, dass viele Menschen (...) wirklich gut zusammenarbeiten.“

Ganz recht. Viele. Nicht alle.

Von Partnern zu Gegnern: die Radiologen Dr. Karlgeorg Krüger und Dr. Frank Stöblen. Fotos: Konopka/Z abka