Essen.. Vergangene Woche wäre ein zwölfjähriges Mädchen im Freibad Kettwig beinahe ertrunken. Verbände bemängeln, dass etwa ein Drittel aller Viertklässler nicht oder nicht sicher schwimmen kann.

Es ist erst ein paar Tage her, da hatte ein zwölfjähriges Mädchen Glück im Unglück. Am 22. Juli wurde im Kettwiger Freibad gegen 16 Uhr der regungslose Körper der Schülerin aus dem Wasser gezogen. Ein herbeigeeilter Badegast versorgte das Kind unmittelbar am Unfallort, leitete eine Herzdruckmassage ein und alarmierte die Badeaufsicht. Der Schwimmmeister beugte sich daraufhin über das Badeopfer und begann mit der Mund-zu-Mund-Beatmung. Etwa eine Minute später habe das Mädchen Wasser gespuckt und sei wieder zu Bewusstsein gekommen, erinnert sich Ersthelfer Chaban Uka. Das Kind blieb über Nacht zur Beobachtung im Krankenhaus und ist wieder wohlauf.

Auf Nachfrage der NRZ teilte die Polizei mit, dass die vor Ort ermittelten Beamten kein Fehlverhalten seitens der Schwimmaufsicht feststellen konnte. Doch genau die sieht sich jetzt dem Vorwurf ausgesetzt, nicht aufmerksam genug gewesen zu sein. Zwei Fachkräfte müssen die Schwimmbecken immer im Auge behalten – so lautet die Anweisung, die nach Meinung von Uka und seiner Freundin nicht eingehalten worden sei. Die Ermittlungen dazu sind noch nicht abgeschlossen.

Studie der Uni Bielefeld sieht Defizite im Schwimmen

Doch unabhängig von der Aufsichtspflicht des Badpersonals verdeutlicht der Vorfall aus Kettwig, dass man die Gefahren des Schwimmen nicht unterschätzen darf. Umgekehrt, muss man sich fragen, wie gut es um die Schwimmfähigkeit von Kindern steht. Laut einer bundesweiten Studie der Uni Bielefeld, kann nämlich rund ein Drittel aller Viertklässler nicht oder zumindest nicht sicher schwimmen. Das NRW-Schulministerium hat deshalb verschiedene Ferienangebote ins Leben gerufen, in denen Kinder das sogenannte „Seepferdchen“, teilweise aber auch höher qualifizierte Schwimmnachweise erwerben können. Auch in unserer Stadt gibt es derartige Ferienprogramme.

„Definitiv ist es auch in Essen so, dass es immer noch zahlreiche Kinder gibt, die man nicht gefahrlos ins Wasser lassen kann“, sagt Sandra Poppe, Geschäftsführerin von Sparte Schwimmen, der Dachorganisation der Essener Schwimmvereine. „Und je älter die Kinder werden, desto größer ist für sie auch die Hemmschwelle, nachträglich einen Schwimmkurs zu besuchen.“ Mit anderen Worten: Wer als Kind nicht schwimmen lernt, bleibt womöglich sein Leben lang Nichtschwimmer.

Kinder haben Bedarf nach Schwimm-Unterricht

Für den Sommerkurs von Sparte Schwimmen haben sich in diesem Jahr 40 Kinder der vierten bis sechsten Klassen angemeldet. In den Oster- und Herbstferien werden jeweils 80 weitere Schüler unterrichtet. Es gebe jedes Mal noch mehr Anfragen, erklärt Poppe. Aber bei einer gewissen Teilnehmerzahl müsse man im Hinblick auf die zur Verfügung stehende Wasserfläche eine Grenze ziehen. „Der Bedarf ist da“, betont die Verbandsführerin. „Die Sportlehrer können das im Schulunterricht nicht auffangen.“

Statistisch gesehen lernen Kinder in Deutschland mit 8,6 Jahren das Schwimmen. Einige Schüler kommen jedoch erst mit zwölf Jahren oder noch später nach Deutschland, erklärt Poppe. „Denen fehlt dann das Wissen aus dem Schulsport in der Grundschule, weil der in ihrem Heimatland nicht auf dem Lehrplan steht oder der Badesport einen niedrigeren Stellenwert hat.“

Auch in klassisch deutschen Familien wird nur noch selten geschwommen

Joachim Heuser, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Badewesen verweist insbesondere auf Kinder mit muslimischen Hintergrund und die kulturellen Unterschiede im Hinblick auf nackte Haut und Badesport in der Öffentlichkeit. „Zum einen sind da männliche Badegäste, dann vielleicht auch eine männliche Badeaufsicht. Das wird von der Religion nicht akzeptiert.“ Das führe dazu, dass ein gewisser Prozentsatz weiblicher Schüler nicht am Schwimmunterricht teilnehme. Nach Meinung von Heuser hätte aber auch die Bedeutung des Schwimmsports innerhalb der „klassisch deutschen“ Familien abgenommen. Das sei insofern ein Problem, als traditionell knapp die Hälfte aller Schwimmfähigen in Deutschland das Schwimmen innerhalb der Familie oder des Freundeskreis erlernt, wohingegen nur 27 Prozent aller Deutschen das Schwimmen in der Schule erlernen. „Die Betreuung im Elternhaus wird leider nicht besser“, so Heuser. „Das Schulschwimmen ist manchmal auch schwierig geworden, weil die Heizung kaputt ist und dann der Unterricht ausfällt.“

Die Deutsche Lebensrettungs-Gesellschaft (DLRG) sieht den Mangel an verfügbaren Schwimmbädern sogar als den Hauptgrund für das sinkende Schwimmvermögen zahlreicher Schüler. Auch die Befürworter des Freibads Hesse hatten vor einigen Jahren argumentiert, wenn man immer mehr öffentliche Bäder schließe, treibe man die Kinder letztendlich in den Kanal. Und genau dort liegen die Gefahren: Während im vergangenen Jahr bundesweit 14 Menschen in Schwimmbädern starben, waren es in allen anderen Wasserflächen 446.