Essen.. Der sich seit Jahren abzeichnende Notstand in der Essener Altenhilfe verschärft sich weiter. Immer mehr Menschen benötigen im Alter Hilfe. Doch qualifiziertes Personal zu finden, ist nicht einfach. Die örtlichen Wohlfahrtsverbände wollen den Beruf nun attraktiver machen.

Die Pflegebranche steht vor erheblichen Zukunftsproblemen. Einerseits gibt es immer mehr Menschen, die im Alter Hilfe benötigen. Andererseits haben die Essener Wohlfahrtsverbände inzwischen enorme Schwierigkeiten, für diese Aufgabe qualifiziertes Personal zu gewinnen und dann auch zu halten. Diese Entwicklung werde sich bald noch verschärfen, glaubt etwa Karlheinz Dieler, Referatsleiter Seniorenarbeit bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo). „Unser Problem wird die Zukunft sein. Das zu verharmlosen wäre völlig falsch“, betont Dieler. Seine Schlussfolgerung lautet daher: „Die Pflegebranche muss einfach attraktiver werden.“

Mit dieser Forderung steht Dieler nicht alleine da. Auch bei der Diakonie und anderen karitativen Einrichtungen wünscht man sich verbesserte Rahmenbedingungen für Altenpfleger: Konkret gefordert werden mehr Geld, mehr Zeit für die Patienten und weniger Belastung durch Personalmangel. Nach Meinung von Bernhard Munzel, Sprecher der Essener Diakonie, müsse sich vor allem das gesellschaftliche Ansehen der Mitarbeiter verbessern. Altenpfleger würden nicht genug wertgeschätzt, lautet sein Urteil, das durch mehrere bundesweite Umfragen unter verschiedenen Berufsgruppen bekräftigt wird.

Bessere Rahmenbedingungen gefordert

Ende 2013 gab es in Essen 4.315 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in der Altenpflege. Im Vergleich zum Vorjahr sind das 122 zusätzliche Angestellte. Dem gegenüber stehen 95 offene Stellen, die derzeit im Stadtgebiet gemeldet sind, erklärt Katja Hübner vom Essener Jobcenter. Damit gibt es in der Pflege mehr als doppelt so viele freie Jobangebote als etwa in der Gastronomie. Allerdings sei es sehr schwer, die Stellen zu besetzen, so Hübner. Ihrer Meinung müssten nun die Arbeitgeber umdenken. „Die Branche wandelt sich zu einem Bewerbermarkt. Die Firmen müssen sich im Grunde bei den Leuten bewerben.“

Hübner rechnet vor: Der pflegebedürftige Bevölkerungsanteil wird in den kommenden Jahren um bis zu 20 Prozent wachsen. Gleichzeitig gibt es immer weniger junge Erwachsene und damit auch weniger Schulabgänger, die einen Pflegeberuf erlernen können. „Auch unter den arbeitsuchenden Fachkräften können nicht alle in die Pflege vermittelt werden“, erklärt Hübner und verweist auf die körperlichen und physischen Belastungen sowie den Schichtdienst. „Gerade Schüler haben Vorbehalte, trauen sich so eine Tätigkeit nicht zu.“ Zahlreiche Studien belegen zudem, dass körpernahe Tätigkeiten bei Männern als typisch weiblich angesehen werden und daher als nicht erstrebenswert gelten. Dementsprechend bewerben sich kaum Männer auf Pflegetätigkeiten, was durch den Wegfall des Zivildienstes noch verstärkt wurde, wie Bernhard Munzel von der Diakonie bestätigt. Die Diakonie hat deshalb das Internetportal www.soziale-berufe.com ins Leben gerufen. Mit einem frischen Design und zielgruppengerechter Ansprache, sollen so Jugendliche auf Berufe in der Pflege aufmerksam gemacht werden.

Anforderungen an Schüler und Pflegekräfte sind hoch

Zwar ist der Mangel an Altenpflegern bereits seit Jahren bekannt und seine Entwicklung durch Statistiken auch gut prognostizierbar, aber eine wirkliche Lösung scheint noch nicht gefunden. „Das Land hat bereits jede Menge Geld investiert, aber es ist fraglich, ob die Schüler, die gerade in der Ausbildung sind, überhaupt in der Pflege arbeiten werden“, bemerkt Irene Lambrecht, Pflegewissenschaftlerin bei der Essener Heimaufsicht. Mit fraglich bezieht sich Lambrecht auf die schulischen Leistungen zahlreicher Pflege-Azubis. „So wird uns das von den Altenpflegeschulen gemeldet.“

Die Anforderungen an Schüler wie Pflegekräfte sind hoch. Hinzu kommt, dass immer mehr Patienten an Demenz leiden oder schwer pflegebedürftig sind, also mehr Zeit und Aufmerksamkeit benötigen, was eigentlich durch mehr Personal ausgeglichen werden müsste. „Die Krankheitsbilder verschärfen sich“, erklärt Karlheinz Dieler von der Arbeiterwohlfahrt. Für die Altenheime bedeutet das, dass selbst bei gleichbleibendem Personalschlüssel weniger Patienten ausreichend versorgt werden können. Doch neue Stellen können nicht ohne Weiteres geschaffen werden, denn dies werde im Rahmen des Pflegeversicherungsgesetzes geregelt, betont Dieler.

Sprachbarrieren seien sehr schwierig

Die Katholische Pflegehilfe wirbt daher bereits in Zeitungen. Auch an dieser Stelle erschien vor einigen Tagen eine Anzeige, in der um Pflegefachkräfte geworben wurde. 270 Festangestellte arbeiten bereits für das Essener Unternehmen. Sie versorgen ambulant rund 1.600 Menschen. „Es könnten mehr sein, aber es kommen nicht genug Fachkräfte nach,“, klagt Heike Bonnekoh, Leiterin der Unternehmenskoordination. „Durch die Krankenkassen wird immer mehr gefordert, es gibt mehr Aufgaben, mehr Dokumentation. Etwa eine Sturzerfassung oder einen Ernährungsplan.“ In öffentlichen Diskussionen werden an diesem Punkt oft ausländische Fachkräfte ins Spiel gebracht. Pfleger aus Osteuropa sollen die deutschen Pflegeeinrichtungen unterstützen, lautet der Vorschlag.

Doch ganz so einfach sei das nicht, sagt Dorothea Röser, Assistentin der Geschäftsführung der Katholischen Pflegehilfe. In der Tat gebe es regelmäßig Anfragen durch die Arbeitsagentur. Einmal sollten Bergarbeiter zu Pflegekräften umgeschult werden, ein anderes mal wollte man Pflegerinnen aus Russland vermitteln. „Letztendlich stehen die Mitarbeiter in direkter Beziehung zu den Menschen. Da sind Sprachbarrieren sehr schwierig.“, so Röser – sei es beim Kochen oder dem gemeinsamen kulturellen Erlebnis: „Wir brauchen nicht nur den Facharbeiter, sondern vor allem auch Personal mit kommunikativen Fähigkeiten.“