Zwischen Kadir Bolat aus Wesel und Sebastian Tromm aus Brühl liegen an diesem Freitag nur ein paar hundert Meter Essener Innenstadt – oder sind es nicht doch eher Welten? Der 37-jährige Türke mit der geschulterten Palästinenser-Fahne stimmt auf dem Weberplatz in die Schlachtgesänge vom „Kindermörder Israel“ ein – und der 29-jährige konvertierte Jude zeigt auf die schwarze Kippa auf seinem Kopf und sagt: „Ich habe Angst um mein Leben.“
Krieg und Frieden, Tod und Terror – das sind die Schlagworte bei den beiden Kundgebungen, die an einem der bislang heißesten Sommertage des Jahres Essens City-Szenerie beherrschen. Rund 200 Demonstranten halten am Willy-Brandt-Platz pro Israel die Stellung, rund 1.000 vielfach arabisch-stämmige Demonstranten mehr sind es am Weberplatz, wo „Deutschland finanziert, Israel bombardiert“ sich als gerne gerufene Formel erweist.
Die beiden Veranstaltungen bleiben abgesehen von wenigen Störmanövern zunächst friedlich, was an der Entfernung liegen mag oder daran, dass die Polizei Stunden zuvor bei einer Razzia zugeschlagen hat: Gegen 11:30 Uhr durchsucht sie 15 Wohnungen, davon 14 in Essen und eine in Unna. Es steht laut Polizei der Verdacht im Raum, „schwere Straftaten gegen die Alte Synagoge geplant zu haben“. Welche Straftaten das sein sollen, verrät die Polizei nicht – „aus ermittlungstaktischen Gründen“, wie es heißt.
Immerhin werden 14 Personen im Alter zwischen 17 und 41 Jahren vorläufig festgenommen und zumindest bis Redaktionsschluss festgehalten – um zu verhindern, „dass sie im Schutze der Demonstration, diese zur Begehung von Straftaten ausnutzen“. Gleichwohl muss die Polizei einräumen, dass bei den Durchsuchungen „keinerlei gefährliche Gegenstände oder Waffen sichergestellt wurden“. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Festgenommen dennoch „wegen Verabredung zu einem Verbrechen“.
Rund zweieinhalb Stunden bleibt es bei einer friedlichen Koexistenz der Demos, danach aber ziehen rund 500 pro-palästinensische Demonstranten gegen alle Absprachen in Scharen die Kettwiger hoch zum Willy-Brandt-Platz. Es gibt, so Polizeisprecher Peter Elke, einige kleine Tumulte, Flaschen fliegen, Feuerwerkskörper werden gezündet, Parolen skandiert. Eine echte Eskalation kann man das kaum nennen, auch wenn einige Hitzköpfe vorläufig festgenommen werden.
Bis 20.30 Uhr – die Pro-Israel-Demonstranten sind längst weg – stehen sich Araber und Polizei gegenüber, wozu noch? „Abwarten, bis sie gleich nach dem Fasten was esssen dürfen“, sagt einer.
Aber dann stellt sich ein ziemlich kräftiger Libanese vor die Polizeikette: „Yalla“, ruft er, „geht nach Hause! Das schadet uns nur.“ Und schau an, sie gehen, einer nach dem anderen, und die Polizei nimmt die Helme ab. Warum sie auf ihn hören? „Das ist der Respekt“, sagt er.