Essen. . Für rund 210.000 Euro wird derzeit das Dach des Langschiffs beim Essener Dom saniert. Es ist der Versuch, einen baulichen Schatz zu sichern, der Gönner braucht – und Gefühl für die Geschichte
Es soll ja in letzter Zeit öfters vorkommen, dass die Laien der Kirche aufs Dach steigen, aber in diesem Fall geht es mal nicht um heikle Glaubensfragen, sondern darum, dass – es nicht irgendwann einmal in den Dom hineinregnet.
Denn beim Wiederaufbau des Essener Münsters nach dem Zweiten Weltkrieg ging manches sehr fix, aber am Ende doch auf Kosten der Qualität, seufzt Ralf Meyers und wirft einen skeptischen Blick aufs Dach des Querschiffs: Gut 80 Jahre und mehr trotzt so ein Schiefer Wind und Wetter, aber bei diesem hier waren die Schieferplatten „schon nach 65 Jahren so mürbe, dass wir sie ersetzen müssen“, sagt der Dombaumeister.
Und so kraxeln seit einigen Wochen Fachleute einer Dachdeckerfirma himmelwärts, die sich bei den 800 fraglichen Quadratmetern auf die altdeutsche Schieferdeckung verstehen. Es ist die „Königsdisziplin“ der Dacheindeckung, bei der umso kleinere Schieferplatten genutzt werden, je näher man dem Dachfirst kommt. Den auf diese Weise erzielten optischen Effekt eines vermeintlich höheren Daches erkauft man sich mit höherem, auch finanziellem Aufwand, denn für diese handwerklich anspruchsvolle Deckart muss jede Schiefer-Schindel einzeln behauen werden.
Und überhaupt, der Schiefer: Fredeburger Ware wurde genommen, weil sie eine reliefartige Oberflächenstruktur aufweist und die noch ein bisschen nach„ergrauen“, wie sich der Dombaumeister begeistert. Es ist nicht, Gott bewahre, der Kölner Dom, dessen Sanierung der 50-Jährige zu beaufsichtigen hat, aber doch so eine Art Lebensaufgabe, denn an einem Gemäuer mit teils über 1100 Jahre alten Gebäudebestandteilen gibt’s immer was zu basteln. Vom Kreuz, das aus dem achteckigen Turm fiel bis zur Kupferdachrinne, die schon einen Schutzanstrich bekommen hat, damit sie nicht durchsuppt, von bröselnden Außenmauern bis zur Kupferdach über dem Langschiff, das zwar nicht korrodiert, dem wetterbedingten Ausdehnen und Zusammenziehen aber wohl irgendwann Tribut zollt, nicht zuletzt, weil die Bahnen einst fehlerhaft verarbeitet wurden.
Das wird man wohl korrigieren, dereinst, wenn das Geld für ein neues Dach reicht. Das Bistum selber trägt in diesen Wochen schon mal die Neueindeckung des Querschiffs mit Schiefer, die mitsamt Dachrinnen und Fallrohren mit immerhin 210.000 Euro zu Buche schlägt.
Dabei gibt es eine gewisse Scheu, Kirchensteuer-Mittel für solche baulichen Sanierungen aufzuwenden, lieber lässt man den Münsterbauverein ran, aber der muss nach den jüngsten aufwendigen Projekten über mehrere Jahre auch erstmal wieder finanziell Luft holen.
An neuen Vorhaben jedenfalls ist kein Mangel, und immer geht es darum, dem vorherigen Zustand so nahe wie möglich zu kommen. Diese Rücksicht haben frühere Generationen nicht immer genommen, wie ein Blick in die bewegte (Bild-)Geschichte des Essener Doms zeigt – sehr zum Bedauern des Dombaumeisters: In den 1950ern etwa nutzte man beim Wiederaufbau des stark zerstörten Domes eine spürbar ruhigere Formensprache, baute „sachlicher“ wie das so schön heißt, trennte sich „vielleicht etwas vorschnell“ von allerlei baulichem Zierrat und mancher Ausstattung, „die wir heute gerne noch hätten“, so Ralf Meyers. Einige Holzaltäre etwa, „die wären durchaus noch zu restaurieren gewesen“.
Auch sonst ging dem Dom im Laufe seiner Geschichte manches verloren: an den Fenstern, am neugotischen Vierungstürmchen über der Kreuzung von Lang- und Querschiff, an Kapitälchen und filigranen Maßwerken.
Heutige bauliche Moden einzuflechten, dieser Versuchung widerstehen Dombaumeister und all jene, die mit dem Essener Prachtbau zu tun haben: „Wir sind da sehr zurückhaltend, weil die Veränderungen heute zu schnell vonstatten gehen.“ Und mit jedem Schritt geht originale Substanz verloren.