Essen. . Auf den Straßen ist nichts los, die Bürger versammeln sich vor jedem Bildschirm, bangen mit am kleinen Kiosk und in der ausverkauften Grugahalle. Dort, beim stadtweit größten Public Viewing, ist seit der zweiten Halbzeit das Fassbier ausverkauft.

Es sollte ein lässiges Fußballfest werden, doch das Versprechen vom Dienstag wurde nicht eingelöst: Keine frühen Tore für die deutsche Elf, dafür nervenzerfetzende Spannung – eine Stadt hielt den Atem an. Während sich über die Plätze und Straßen Stille legte und Verkehrsadern wie die Alfredstraße zum gefahrlosen Radfahren einluden, versammelten sich die Essener überall dort, wo auf Leinwand oder Bildschirm die packenden Finalszenen aus Rio gezeigt wurden.

6500 Zuschauer drängten sich beim größten Public Viewing in der ausverkauften Grugahalle, mitten drin auch Elisabet Scheytt, die Mutter des früheren Kulturdezernenten Oliver Scheytt. 84 Jahre alt ist sie, hat alle Final-Spiele mit deutscher Beteilgung gesehen und meint, sie könne wohl an diesem Abend auch einen Superlativ für sich beanspruchen: als älteste Zuschauerin in der Halle. Kulturhauptstadt-Macher Scheytt erzählt: „Meine Mutter war schon früher mit mir im Stadion bei Rot-Weiss, als ich 14 oder 15 Jahre alt war - die ist Fan.“ Mit ihnen am Tisch Baudezernentin Simone Raskob im Frings-Trikot – und anfangs guten Mutes: „Ich tippe auf 3:1 für Deutschland.“

Als vor dem Spiel in der Grugahalle die argentinische Hymne ertönt, gibt es viele üble Pfiffe – „Fairplay, bitte“, mahnt der Moderator. Die ersten Minuten der Begegnung werden rauschhaft begleitet, doch als kein frühes Tor fällt, gibt’s bange Gesichter – und Angstschreie, als Kroos nach etwa 20 Minuten den Ball vertändelt.

Ganz ähnlich die Spannungskurve bei einem der kleinsten Public Viewings der Stadt im Südviertel: Vor dem Kiosk von Betreiber Nazir Samadi an der Von-Seeckt-Straße, Ecke Witteringstraße, sitzen rund 50 Gäste auf Stühlen auf dem Bürgersteig. Den Regen in den Anfangsminuten hält man unter der Markise aus, und viele Passanten bleiben einfach stehen: „Die Kneipen sind alle zu voll“, sagen alle.

Voll ist es zum Beispiel im „Mittendrinn“ an der Klarastraße in Rüttenscheid. Dort halten Deutschlandfahnen, über den Biergarten gespannt, den Regen ab, die Gäste leiden im Trockenen, als die Bilder aus Brasilien kaum auszuhalten sind.

In der Grugahalle sitzt man im Trockenen, doch das ist lange Zeit auch der einzige Trost für die mitzitternden Zuschauer. Als Higuain für Argentinien trifft, schreit die ganze Halle vor Entsetzen – und jubelt noch lauter, als klar wird, dass es Abseits war. So laut kann Erleichterung sein! Nur die Begrüßung von Schürrle fällt fast genauso laut aus, die ganze Halle setzt auf seinen Torhunger. Bis zum Halbzeitpfiff vergeblich.

Und dann drängen viele nach draußen – oder an die Bierstände, wo sie gleich die nächste Enttäuschung erleben: Das Bier vom Fass ist jetzt, zum Beginn der zweiten Halbzeit, ausverkauft.