Essen.. Unsere Leser berichten von ihren Erinnerungen an die Fußball-Weltmeisterschaft 1954. Einige Kinder in Essen bekamen damals Eis ohne Ende, gestandene Männer weinten lauthals. Der Sieg der deutschen Nationalmannschaft gab einer Generation neues Selbstbewusstsein.

Kürzlich schrieben wir über den Beginn des Public Viewing in Essen während der Fußball-WM 1954: Viele Menschen verfolgten die Spiele damals schon deshalb in der Kneipe, weil die wenigsten einen Fernseher besaßen. So berichtete Eule-Wirt Gerd Fabritz, wie er das Finale im „Weißen Haus“ seiner Eltern verfolgte. Unserem Aufruf, Erinnerungen an den spektakulären Titelgewinn 1954 zu schildern, folgte auch Fabritz’ Bruder Hans-Dieter:

„1954 wurde in der Gaststätte Weißes Haus, geführt von unseren Eltern Hans und Anny Fabritz, im Fernsehen das WM-Endspiel übertragen. Im Gastraum hatten sonst etwa 50 Personen Platz. Zu diesem Spiel fanden sich mindestens 100 ein, die sich in Reihen an der Theke und den Wänden stehend verteilten. Man ging seinerzeit zum Hannes Fußball gucken.

Als das Spiel endete, geschah für mich als damals 17-Jähriger – der selbst im Verein beim RSC DJK Rüttenscheid Fußball spielte, wo wir uns nach jedem Sieg freuten – etwas aus meiner damaligen Sicht völlig Unglaubliches: 100 überwiegend gestandene Männer hatten Tränen in den Augen, manche weinten lauthals. Wieso nur? „Wir“ hatten doch gewonnen!

Nicht erst seit heute kann ich diese Reaktion doch nachvollziehen: Erstmals kam in jener Generation das Gefühl auf: „Wir sind wieder wer“. Diese Generation wünschte sich, dass man Deutschland aus einem neuen Blickwinkel betrachtete.“

Noch jünger war der nächste Zeitzeuge, Peter Rüb: „Ich war fast acht Jahre alt. Wir wohnten in Holsterhausen in der Steinhausenstraße, um die Ecke in der Kaulbachstraße, gab es eine Eisdiele. Der Besitzer war ein geschäftstüchtiger Mann, denn er hatte einen Fernseher angeschafft.

Am Tag des Endspiels füllte sich die Eisdiele immer mehr. Wir Jungs sahen das alles gelassen: Spielen war für uns wichtiger als alles andere. Wir spielten auf der Straße „Köppen“: Im Abstand von etwa fünf Metern waren mit Steinen zwei Tore abgesteckt. In jedem Tor stand ein Spieler, der versuchen musste, per Kopf einen Tennisball im gegnerischen Tor unterzubringen. Als das WM-Endspiel begann, war die Eisdiele proppenvoll, die Menschen standen bis zur Straße. Es war aber eher ruhig, da war’s bei unserem Spiel spannender. Aber dann ging’s los, 2:1; 2:2, die Zuschauer in der Eisdiele waren wohl im ganzen Stadtteil zu hören.

Jetzt hielt es uns nicht mehr auf unserem Nebenschauplatz: Wir schlüpften durch die Menge und verfolgten das Spiel auf dem Bildschirm. Die Stimmung war riesig, nach Spielende überschlug sie sich: Wir waren Weltmeister! Alle lagen sich glücklich in den Armen, und als Siegprämie für uns gab es: Eis ohne Ende!“