Stadtwald. .

Es ist 11.53 Uhr, eigentlich müsste jetzt ein Zug aus dem Tunnel rauschen, am Bahnsteig stoppen und puffend die Türen öffnen. Aber es passiert – nichts. Keine Bahn weit und breit, den ganzen Tag, die ganzen nächsten Monate nicht: Weil nach Supersturm „Ela“ noch immer kein Zug auf der S-Bahnlinie 6 zwischen Essen und Düsseldorf fährt, ist Stadtwald zum Geisterbahnhof geworden.

Normalerweise ist hier viel los. Alle 20 Minuten fahren Bahnen über Essen-Süd zum Hauptbahnhof und über Kettwig und Düsseldorf nach Köln – eine der wichtigsten Pendlerlinien überhaupt an Rhein und Ruhr mit Tausenden Fahrgästen Tag für Tag. Jetzt herrscht in Stadtwald gespenstische Ruhe. Erst Recht, seit die Bahn Mitte der Woche die Ansagen eingestellt hat, die mehrmals die Stunde auf die stillgelegte S6 hinwiesen. Nur die Anzeigetafeln teilen noch mit, dass „infolge des Unwetters kein Zugverkehr auf der S-Bahnlinie 6“ stattfinde. Flatterband versperrt den Fahrkartenautomaten, sogar die Notrufsäule ist „Außer Betrieb“. Der Bahnhof: menschenleer an diesem späten Vormittag. Nur ein Bahn-Mitarbeiter in oranger Arbeitsweste fegt die Treppe. „Sonst ist um die Zeit hier immer was los“, erzählt der Mann mit türkischem Akzent. „Da kommen Kinder von der Schule, man hat ein bisschen Unterhaltung. Jetzt ist es langweilig.“ Hoffentlich, sagt er noch, fahren die Züge bald.

Auf dem Gleis Richtung Düsseldorf steht Helmut Nömer. 84 Jahre alt, schneeweißes Haar, beige Jacke – regelmäßige Zeitungsleser kennen Nömer als einen, der sich Gedanken macht um die Bahn und den Bahnhof. Wobei er das so nicht sagen würde: „Stadtwald ist ein Haltepunkt, kein Bahnhof. Aber das versteht die Öffentlichkeit ja nicht.“ Nömer muss es wissen, er war selbst Eisenbahner, arbeitete bis zu seiner Pensionierung als „Hauptabteilungsleiter Nahverkehr im Direktionsbereich Essen“. Nömer könnte die Ruhe genießen, die Zeit ohne Züge, die er sonst immerzu hört in seinem Garten, der direkt an den Bahnhof, Pardon, Haltepunkt, grenzt. Er könnte, aber er will nicht. Lieber sammelt er Zigarettenkippen auf – „man fühlt sich ja immer noch verantwortlich“, auch wenn Nömer seit 1992 in Rente ist. Früher war der Stadtwälder Bahnhof eine große Nummer in Essen, sogar ein gut besuchtes Restaurant soll es vorm Krieg mal gegeben haben. „Aber das ist lange her“, sagt Nömer, ein gebürtiger Stuttgarter, mit schwäbischer Stimmfärbung. „Heute ist alles rationalisiert.“ Nömer öffnet sein Gartentor, eben ist seine Frau nach Hause gekommen. Der Bahnhof ist wieder menschenleer. Noch knapp zwei Monate lang.