Essen. . Knapp 4.500 Bürger tummeln sich in der Facebook-Gruppe „Essen packt an“. Was klein angefangen hat, könnte eine große Sache werden – doch Entscheidungsprozesse sind langwierig, wenn jeder mitreden darf

Fast 4.500 Mitglieder zählt die Hilfsinitiative „Essen packt an“ inzwischen und eines haben alle gemeinsam: den festen Willen, die Stadt nach dem Sturm wieder auf Vordermann zu bringen. Zum Vergleich: Das Bochumer Pendant der Gruppe „Bochum packt an“ kratzt bei Facebook gerade mal an der 600er-Marke. „Ich bin wirklich stolz auf diese Stadt“, sagt Markus Pajonk, einer der Teamleiter in Essen, ohne falsches Pathos. „Einige Helfer haben extra Urlaub genommen, um hier Flagge zu zeigen; es ist einfach überwältigend.“ Doch bei aller Freude über die Woge der Solidarität und Hilfsbereitschaft gibt es auch Probleme – etwa bei der Koordination der Hilfsaktionen.

„Das liegt in der Natur der Sache“, so Pajonk. „Wenn so viele Leute sich spontan zusammenfinden und es keine festen Strukturen gibt, kommt es schon mal zu Spannungen.“ So wird bei Facebook etwa hitzig diskutiert, wo die Hilfe gerade am Nötigsten gebraucht wird, wer noch Öl für die Kettensägen im Keller hat oder wer die Schnittchen für den nächsten Einsatz schmiert. Nicht immer geht es dabei harmonisch zu, aber Konflikte gehören eben dazu. So zeigt „Essen packt an“ nicht nur, was Bürger auf die Beine stellen können, wenn sie alle Kräfte bündeln, sondern die Initiative ist schon jetzt ein Lehrstück über gelebte Demokratie im Kleinen – und die kann manchmal ganz schön anstrengend sein. Das bestätigt Gruppengründer Tobias Becker: „Alle meinen es gut, aber manche sind in ihrem Eifer etwas voreilig.“ So habe es in den vergangenen Tagen immer wieder Fälle gegeben, in denen Helfer ungenehmigt Bäume gefällt oder ohne Schnittschutzhose zur Kettensäge gegriffen hätten. „Aber das ist zum Glück eher die Ausnahme“, so Becker.

Zwar gibt es Teamleiter, die Einsätze organisieren und grob Aufgaben delegieren, doch eine Hierarchie über Entscheidungsbefugnisse gibt es nicht. Jeder Schritt muss gemeinschaftlich abgestimmt werden. Markus Pajonk engagiert sich als Kassenwart für das Projekt und glaubt, dass „Essen packt an“ sich auch über die Sturmschäden hinaus zu einer dauerhaften Institution entwickeln könnte. „Viele von uns haben durch die Arbeit einen Motivationsschub erhalten und möchten weiterhin etwas in unserer Stadt bewegen. Es wäre doch toll, wenn wir diesen Geist bewahren könnten.“ In der Diskussion ist etwa, die Initiative als gemeinnützigen Verein eintragen zu lassen, wovon Pajonk allerdings abrät: „Ich fürchte, dass der Vereinsstatus eine Verbindlichkeit mit sich bringt, die viele abschrecken würde. Außerdem würde es mindestens sechs Wochen dauern, bis wir als Verein anerkannt wären – und so viel Zeit haben wir einfach nicht.“ Denn Pajonk und andere Helfer haben sich ein ehrgeiziges Ziel gesteckt: Bis Montag wollen sie alle Kitas und Schulhöfe im Stadtgebiet freigeräumt haben.

Spenden laufen über privates Konto

Der einzige Vorteil eines Vereins läge wohl in der Abwicklung von Spenden: Sofern die Gemeinnützigkeit anerkannt würde, könnten Spenden steuerlich abgesetzt werden, was als einfache Gruppeninitiative nicht möglich ist. Jetzt laufen alle Geschäfte über Pajonks privates Konto – statt einer Spendenquittung, die er nicht ausstellen darf, schickt er Spendern auf Anfrage eine Kopie seines Kontoauszugs. „Die Menschen schenken mir ihr Vertrauen; deshalb gehe ich mit den Spenden so transparent wie möglich um“, versichert der 44-Jährige.

Und manchmal entsteht aus der Not eben auch eine findige Geschäftsidee: Die Essenerin Kirstin Hoppen betreibt in Düsseldorf eine Werkstatt für Textildruck. Eigentlich wollte sie ihre Mitstreiter im Team Borbeck nur mit ein paar T-Shirts überraschen und entwickelte dafür ein eigenes „Essen packt an“-Logo. Schließlich war das Interesse an den T-Shirts aber so groß, dass Hoppen weitere Produkte nachgelegt hat. Neben T-Shirts gibt es jetzt auch Pullover, Taschen und Tops, die das Logo der Initiative zieren. Die Nachfrage ist ungebrochen. Zwei Euro aus jedem verkauften Produkt kommen „Essen packt an“ zugute. Aber Pragmatismus war wohl schon immer eine Stärke der Essener.