Essen. Verspätungen im öffentliche Nahverkehr sind für Pendler die Pest. Ungewöhnlich ist daher die neueste Werbeaktion der Evag: Sie machen mit dem Hinweis auf das alltägliche Ärgernis auf den Umstand aufmerksam, dass der ÖPNV finanziell auf der letzten Felge fährt - und erklärt, warum das so ist.
Die Evag hat auf ihren Bussen und Bahnen schon für vielerlei geworben: für den Klimaschutz, für Rot-Weiss Essen und fürs Weltkulturerbe Zollverein. Die jüngste Marketingkampagne aber, die seit wenigen Wochen durch die Stadt rollt, fällt buchstäblich aus dem Rahmen. „Entschuldigen Sie die Verspätung“, steht auf Bus und Straßenbahn zu lesen, und es folgt der freundliche Hinweis, an wen erboste Fahrgäste sich denn wenden möchten: „Beschwerden bitte an: Marode Infrastruktur in Berlin.“
Evag-Chef Michael Feller will mit dieser ungewöhnlichen Kampagne darauf aufmerksam machen, dass der Öffentliche Personen-Nahverkehr längst auf der Felge fährt. 400 Millionen Euro fehlen dem Unternehmen bis zum Jahr 2025, um Tunnel, Gleise und U-Bahnhöfe instand zu halten. „Wenn nicht bald etwas geschieht“, sagt Feller, „müssen wir uns in zehn Jahren mit dem Geschäftsfeld Champignonszucht in unseren Tunneln beschäftigen“. So deutlich hat man das noch nicht gehört.
Applaus in sozialen Netzwerken
Reaktionen? Im sozialen Netzwerk Facebook gab’s Applaus, sagt Evag-Sprecher Olaf Frei. Nein, die Fahrgäste hätten nicht das Gefühl, die Evag schiebe den Schwarzen Peter bequem weiter an den Bund.
Im Kommunalwahlkampf spielte das Thema Nahverkehr keine Rolle. Ausnahmen: Die Grünen warben für bessere Verbindungen. Die FDP vertrat die Auffassung, dass die Stadt beim ÖPNV sparen könnte, dachte aber wohl eher ans Sozialticket und an unrentable Busverbindungen in den Abendstunden. Wohl wissend, dass die finanziellen Probleme der Evag damit nicht gelöst wären.
Linien sollen gestrichen werden
Wohin die Reise geht? Bis Ende 2015 wird die Verwaltung einen neuen Nahverkehrsplan vorlegen. „Ich gehe nicht davon aus, dass wir vorschlagen werden, Linien zu streichen“, sagt Simone Raskob, die als Baudezernentin die Steuerungsstelle Nahverkehr im Rathaus verantwortet. Im Gegenteil: Die Stadt will den ÖPNV ausbauen. Dessen Anteil am Gesamtverkehr soll bis zum Jahr 2020 steigen von derzeit 19 auf 21 Prozent, bis zum Jahr 2035 auf 25 Prozent. Die Straßenbahnlinie 109 soll deshalb über die Hollestraße bis zum Hauptbahnhof verlängert werden, die Linie 105 bis zum Centro und auch Ikea, das im Kruppgürtel neu bauen wird, solle mit der Straßenbahn erreichbar sein. Wunschdenken? Bei der Finanzierung des ÖPNV sei der Bund gefragt, heißt es in Politik und Verwaltung. Auch die Stadt werde ihren Beitrag leisten müssen.
Auch darüber dürfte gesprochen werden hinter verschlossenen Türen, wo es derzeit um die neuen Mehrheiten im Rat geht.